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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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eingeladen, die Nacht in seinen Räumlichkeiten zu verbringen, aber Arezki wollte unbedingt im ärmlichen Loch seines Bruders bleiben, zwischen den vorsintflutlichen Möbeln, die in ihrer schlichten Archaik das Herz anrühren, und den nicht greifbaren Erinnerungen.
    »Soll ich dir vielleicht noch ein Wiegenlied singen?«
    Arezki blickt mich strafend an. »Du hast aber auch vor nichts Respekt.«
    »Hör auf mit dem Gejammer! Idir schläft längst. Versuch, es ihm nachzutun. Morgen fahren wir in aller Früh zurück. Ich habe nicht die Absicht, einen Kran anzuheuern, um dir auf die Beine zu helfen.«
    Arezki ist außer sich. »Ich fahre nicht mit.«
    »Aber sicher fährst du mit.«
    »Mein Platz ist hier.«
    »Sei so gut und mach endlich das Licht aus. Diese unmögliche Glühbirne geht mir auf den Geist.« Er löscht das Licht.
    Ich ziehe mir die Decke übers Gesicht und die Knie bis zur Nasenspitze hoch, dann rühre ich mich nicht mehr.
    Nichts hilft besser als die Dunkelheit, einem Mann die Last von der Seele zu nehmen.
     
    2
     
    »Schon zurück, Kommy?« Lino setzt die Sonnenbrille ab, sieht mich an und macht dabei ein Gesicht wie eine Springmaus, die in ihrem Bau unversehens eine Schlange entdeckt.
    »Hast wohl gehofft, ich würde für immer in der Pampa verschwinden?«
    »Ich dachte, du bleibst noch ein paar Tage, um aufzutanken.«
    »Gib schon zu, daß du auf den Geschmack gekommen bist!«
    Lino stößt die Tür mit dem Absatz zu und läßt sich auf den Stuhl gegenüber meinem Schreibtisch fallen. Er wischt sich die Brille am Hemd ab und setzt sie wieder auf.
    »Und, wie läuft es so in der Heimat?«
    »So wie überall.«
    »Und dein Freund, der Künstler?«
    »War ein schwerer Schlag für ihn. Ich mußte ihn in der Zwangsjacke nach Algier zurückschleifen. Im Dorf hätte er eine prima Schießscheibe abgegeben.«
    »Und unterwegs ist nichts passiert?«
    »Wir hatten bloß Glück. Nächstes Mal fordere ich Geleitschutz an.«
    »Aha.« Lino mustert eingehend seine Fingernägel, die Augenlider halb geschlossen. Sein Mangel an Enthusiasmus läßt in mir alle Alarmglocken läuten. Ich verstehe, daß während meiner Abwesenheit irgend etwas passiert sein muß.
    Ich schiebe das Telefon beiseite, um den ausweichenden Blick des Leutnants einzufangen. Er wendet sich ab und tut so, als interessiere er sich brennend für die Dienstanweisungen, mit denen die Wand tapeziert ist.
    »Schieß schon los!« ermuntere ich ihn. »Ich bin immun.«
    Er verzieht nur den Mund. Fünf Sekunden lang knetet er seine Finger durch, unfähig, sich zu entscheiden, ob er die Katze am Schwanz oder am Schopf packen oder besser gar nicht erst aus dem Sack lassen soll.
    »Ich war doch nur zwei Tage weg«, schimpfe ich.
    »Du willst mir doch wohl nicht weismachen, ich hätte den Höhepunkt meiner Laufbahn in so kurzer Zeit verpaßt!«
    Er mobilisiert alle seine Kräfte, um mir schließlich mit schwankender Stimme zu antworten: »Du bist nicht auf dem laufenden?«
    »Kommt darauf an.«
    »Im Sekretariat vom Chef liegt ein Umschlag für dich.«
    »Wenn man dich so hört, könnte man meinen, es handle sich um meinen Totenschein.«
    »Ziemlich gut getroffen.«
    Ich spüre, wie meine Innereien sich unentwirrbar verknoten.
    Lino fährt fort, seine Finger zu traktieren. Seine Backenknochen hüpfen auf und ab, seine Lippen haben sich olivgrün verfärbt und beben verdächtig. Da klingelt plötzlich das Telefon und versetzt mich auf der Stelle in eine Art Starrkrampf. Als ich abhebe, spüre ich, wie meine Hand zittert.
    Am Ende der Leitung näselt die Stimme des Direx und gibt mir den Rest. »Brahim?«
    »Ja, Herr Direktor.«
    »Hast du eine Minute Zeit?«
    »Sofort, Herr Direktor.«
    Zwei Anläufe brauche ich, bis der Hörer wieder ordentlich auf der Gabel liegt.
    Peinlich berührt von meiner Beklommenheit, macht sich Lino daran, seine 08/15-Brille auf Schönheitsfehler hin abzusuchen.
    »Es geht ja schon los …«, stammle ich.
    »Ich fürchte ja«, nickt er betrübt.
    Ich schnappe meine Jacke und sause über den Korridor. Die Belegschaft weicht vor mir zurück wie vor einem Leichenzug. Ich brauche mich nicht umzudrehen, um zu wissen, daß sich alle hinter mir bekreuzigen.
    Ab dem zweiten Stock lassen mich meine Beine im Stich. Ich muß mich am Geländer hochziehen. Dabei war ich doch schon immer aufs Schlimmste gefaßt. Und jetzt, wo es passiert ist - die blanke Panik.
    Abgemagert ist er, der Direktor. Vor drei Tagen hatte er noch blendend ausgesehen.
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