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Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären

Titel: Commissaire-Llob 3 - Herbst der Chimären
Autoren: Yasmina Khadra
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wenn ich vor einem Vorgesetzten stehe, befällt mich das fatale Gefühl, etwas Schreckliches angestellt zu haben. Trotz meiner unterm Strich untadeligen Reputation beschleicht mich ein vages Schuldbewußtsein, und ich ertappe mich dabei, wie ich den Kopf einziehe, mich geradezu demütig aufführe.
    Monsieur Houbel liest in meinem Blick, wie ich mich innerlich vor ihm ducke, fühlt sich ermutigt und schiebt mir, statt mir erstmal einen Platz anzubieten, sofort ein Buch zu.
    »Was soll das sein, Kommissar?«
    Ich schlucke, aber der Kloß in meinem Hals löst sich nicht auf. Nach einer titanischen Anstrengung höre ich mich hervorpressen: »Ein Buch.«
    »Diese Fäkalie nennen Sie Buch?«
    Jetzt spielt mein Adamsapfel verrückt. Er setzt sich auf Höhe meines Gaumens fest und bleibt stur da stecken.
    Slimane Houbel fletscht die Zähne mit der Schamlosigkeit eines Esels, der den Schwanz hebt. Er mustert mich eingehend von Kopf bis Fuß, unschlüssig, ob er mich anspucken oder einen Scheuerlappen aus mir machen soll.
    »Halten Sie sich denn tatsächlich für einen Schriftsteller, Monsieur Llob?«
    Mit sorgfältig manikürtem spitzen Finger stößt er mein Opus [»Morituri«, dt. im Haymon-Verlag, 1999]
    von sich, als handle es sich um Unrat: »Dieses groteske Machwerk hat nicht seinesgleichen, es sei denn die Niedertracht seines Verfassers. Sie versuchen die Gesellschaft, in der Sie leben, bloßzustellen und haben sich dabei doch nur selbst blamiert und den letzten Rest Wertschätzung, den ich für Sie noch zu haben glaubte, mit Erfolg vernichtet.«
    »Monsieur …«
    »Ruhe!«
    Ein Spritzer Spucke landet dicht unter meinem Auge.
    Er erhebt sich. Seine wohlgenährte Statur überragt mich bei weitem, läßt mich in seinem Schatten verschwinden. Er ist der Boß. Und bei uns hat Macht nichts mit Kompetenz zu tun. Ihre Stärke liegt in der Bedrohung, die von ihr ausgehen kann. Zu seiner Linken blinkt ein Licht. Er drückt auf einen Knopf und wiehert ins Mikro: »Ich bin für niemanden zu sprechen, Lyes. Nicht einmal für den Rais [Staatspräsident]«
    So einfach ist das!
    Der Boden vibriert, als er um den Schreibtisch herumkommt, um mir ins Weiße vom Auge zu sehen. Und wenn er sich zehnmal mit Dior bestäubt, sein Atem wirft mich fast um.
    »Ich hoffe, ich teile Ihnen nichts Neues mit, wenn ich Ihnen sage, daß der letzte Trottel Ihr Gesudel dem analen Stadium der Literatur zuordnen würde, Monsieur Llob. Ihre Stilübung hat mehr mit Hirnwichserei als mit einem echten geistigen Impuls zu tun. Es wäre geradezu ein Kompliment, Sie einen Schreiberling zu schimpfen.«
    Jetzt macht er mich so richtig fertig. Das ist sein Vorrecht als Chef.
    So ist das bei uns: Man kann der größte Kriegsheld sein, doch ein niedriger Dienstgrad hat sich an den Tressen und am IQ zu zeigen. Als Untergebener hat man die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, seinen Geist unter Verschluß zu halten.
    Ich schaue mir den Despoten an - eine reinrassige Ausgeburt der Zarenrepublik: jung, reich, breitschultrig genug, das himmlische Manna aufzufangen, niemals gefährdet, niemals bedürftig, an jedem Finger eine Intrige und in jedem Palast eine Suite, dazu zwei Füße, um mich in Grund und Boden zu stampfen.
    Und ich, Brahim Llob, ein Monument an Loyalität, doch auf tönernen Füßen, mit achtundfünfzig fast schon senil, bald als Sprungbrett, bald als Fußabtreter mißbraucht, ich, der ich meine Nächte in kalten Autos und meine Tage am Schießstand verbringe, ich stehe stramm und lasse mich fertigmachen wie ein Köter, ich, der ich fröhlich jeden Tag, den Gott geschaffen hat, meine Haut riskiere, damit Heuchler wie er, undankbar und selbstherrlich, weiterhin ungestraft wüten können.
    Slimane Houbel nimmt sich Zeit, ein Staubkörnchen von seinem Hemd zu entfernen. Er benetzt einen Finger mit der Zungenspitze und macht sich daran, es mit umständlicher Besessenheit wegzuputzen.
    Er brummt: »Monsieur le Delegue hat mich beauftragt, Ihnen mitzuteilen, wie sehr die Lektüre Ihres Machwerks ihn angewidert hat. Wären da nicht Ihre langen Dienstjahre und Ihre Vergangenheit als Freiheitskämpfer …«
    »Monsieur Houbel«, unterbreche ich ihn aufgebracht, »warum haben Sie mich kommen lassen?«
    Da fährt er auf, der Herr Kabinettschef. Seine Brauen ziehen sich zusammen, seine Nüstern beben wie der Beutetrichter eines Ameisenlöwen. »Ja, was glauben denn Sie, Kommissar, weshalb Sie hier sind? Haben wir früher vielleicht zusammen Kühe gehütet?«
    »Sie
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