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Coltan

Coltan

Titel: Coltan
Autoren: Ivo Andress
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erbarmungslos ans Messer liefert?
    „Gib mir eine Stunde, ich brauch noch einen
Kaffee.“
    Ich kam nur drei Meter weit.
    Jetzt war es Hanschke: „Na, schon einbestellt
worden?“
    „Bin nicht rangegangen.“
    „Auch gut. Ich bin die nächsten Stunden
unterwegs. Zuerst zur Generalstaatsanwaltschaft, von da zum Senat. Dabei wurde noch
nicht mal ein Ermittlungsverfahren geschweige denn eine Vorprüfung auf den Weg
gebracht. Fixe Jungs, die. Und seine Frau?“
    Ich wiederholte wortwörtlich Maders Aufzählung.
Ein kurzes anerkennendes Pfeifen, mehr nicht.
    Die Mail-Box: Martens Stimme klang tonlos, kein
Gezeter. Ich solle mich melden, der Präsident sei außer sich. Na und, dachte
ich, noch gilt die Strafprozessordnung für alle.
    Zwei Ecken weiter standen Stühle und Tische auf
dem Mittelstreifen. Ich fand einen Sonnenplatz, streckte die Beine aus und
genehmigte mir einen Latte macchiato samt Apfelstrudel. Sie hatten allen Grund,
aufgeregt zu sein. Ich auch. Könnte gut mein letzter Fall sein.

111
    Martens saß auf Maders Stuhl. Die Beine breit,
die Ellbogen auf den Knien und den Kopf zwischen den Händen.
    Ein kurzer Blick auf die Armbanduhr. Kein Wort.
Er faltete die Zeitung zusammen. Die Halsadern traten ihm hervor, ein kurzes Schütteln
durchzog seinen Körper, dann: „Was bildet der sich eigentlich ein.“
    Ich stutzte, aber nur kurz, er hatte mich zu
oft irritiert in den letzten Tagen.
    „War es schlimm?“, fragte ich nur.
    Martens beschränkte sich auf die Kurzversion. Urplötzlich
stand der Chef aller Polizisten in seinem Zimmer. Ich konnte mir die Situation bildhaft
vorstellen. Martens, einen Kopf größer, steht ihm gegenüber, und der Präsident,
den Kopf immer in die Höhe gereckt, tobt und schreit die ganze Zeit. Ob er es
nur mit Verrückten zu tun habe, warum er von all dem nichts wisse und was da
überhaupt los sei, der Senator sei aus allen Wolken gefallen. Fünf Minuten habe
der Alte ihn nicht zu Wort kommen lassen. Währenddessen hatte sich die gesamte
Abteilung im Sekretariat versammelt und hörte zu. Bongartz sei es schließlich
gewesen, der Kraft seines Personalratsmandates die Initiative ergriff.
    „Plötzlich steht also Bongartz zwischen uns.
Der Alte brüllt ihn an, was er hier zu suchen habe und Bongartz sieht ihn
einfach nur an. Steht da und guckt. Fährt sich mit der Zunge ganz langsam über
die Lippen und fängt an zu flüstern: Ich arbeite hier und Sie gehen jetzt
mal besser dahin, wo Sie normalerweise arbeiten. In Ihr Büro. Wenn Sie auch nur
noch einmal die Stimme über Zimmerlautstärke erheben, sehen wir uns im Gesamtpersonalrat.
Und dann kann ich für nichts garantieren. Auch nicht dafür, dass keiner einen
Reporter kennt, der gerade vor lauter Langeweile hier um den Block schleicht
und guckt, was wir so am Aschenbecher bereden. “
    Wer Bongartz kannte, wusste, was er damit
meinte. Er hatte vier Präsidenten kommen und gehen sehen und selbst nur noch
vier Monate bis zu Pensionierung. Berlin war eine große Stadt, aber
interessante Storys verbreiteten sich mit Lichtgeschwindigkeit.
    „Kostet mich vielleicht meinen Job.“, damit
beendete Martens seinen Bericht, ohne sonderlich unglücklich zu wirken. Nur
müde, erschöpft.
    „Ähm, Frage, ich hab das jetzt richtig verstanden?
Wir machen weiter?“
    „Was denn sonst!“, er klatschte in die Hände: „Der
Chef lässt bitten, vorerst. Um Fünfzehn-Null-Null ist Stellzeit, dann wird
Bericht erstattet. Er kann uns schließlich nicht alle auf Streife schicken,
dazu ist der Fuhrpark zu marode.“
    Martens war wie ausgewechselt. Lag es daran,
dass er glaubte, das sei es jetzt gewesen mit seiner Karriere? Oder war der
Alte einfach zu weit gegangen. Jenen kleinen Schritt, der das bisschen
Selbstachtung, das in jedem schlummert, wach kitzelt. Ich wusste es nicht, aber
es spielte auch keine Rolle. Kurz nachdem er sich wieder auf den Weg gemacht hatte,
kam Mader und knallte die Ausbeute des Vormittags auf den Schreibtisch.
    „Das ist so widerlich.“
    Ich sah, wie sich die Härchen auf ihrem
Unterarm aufstellten.
    „Du hast es Dir angesehen?“
    „Ja, leider.“
    „Gut, dann geh rüber zu den Technikern, Fingerabdrücke
und so. Um drei treten wir zum Appell an.“

112
    Ich fühlte mich um Jahrzehnte zurückversetzt.
Prüfungsängste, strenge Lehrer und Direktoren. Ein verstohlener Blick auf meine
Schuhe, die längst schon hätten geputzt werden müssen. Ich werde herbeizitiert
und reagiere wie ein Pennäler. Mein Jackett, nur ein
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