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Coltan

Coltan

Titel: Coltan
Autoren: Ivo Andress
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peinlicher Notbehelf. Blut
staut sich im Kopf. Martens im weichen Leinensakko, unaufgeregt und abwartend. Mader
luftig gekleidet wie eine Absolventin in der Sommerfrische. Die Sekretärin
nickt uns kurz zu und verschwindet dann durch die Seitentür. Schweigen.
    Mader malt, wie so oft, mit der Schuhspitze
Kreise auf den Fußbodenbelag.
    Der Sekundenzeiger der Wanduhr ruckt knarrend
von Strich zu Strich. Schwungvoll wird die Tür geöffnet, der Blick der
Sekretärin sagt alles.
    Der Chef! Steif und unnahbar thront er an der
Stirnseite des Tisches. Ihm zur Linken ein Abgesandter des Senators, dem allein
der Gedanke an die eigene Bedeutung die Luft zu nehmen scheint. Kein Gruß, kein
Blick.
    Hinter den beiden der Schreibtisch, säuberlich
aufgereiht die Trophäen unzähliger Dienstjahre: Fähnchen befreundeter
Polizeien, ein aus Weißblech getriebener Bärenpokal und der Kommentar zum
Strafgesetzbuch. Der Chef hat die Arme vor der Brust verschränkt und blickt ins
Leere: „Es ist mir völlig unverständlich, wie Sie, nachdem Ihnen die
Ermittlungen entzogen wurden, sich weiterhin diesem Fall widmen konnten?“ Kalt,
schmallippig, und irgendwie zu klein geraten.
    Dann, ohne zu klopfen, steht plötzlich Hanschke
neben uns. Ein kurzer Gruß, schon lümmelt er regelrecht auf dem letzten freien
Stuhl. Seine Augen hängen an den Lippen des Präsidenten, der wortgleich
wiederholt, was er soeben gesagt hatte.
    Jetzt zieht der Staatsanwalt ein frisches
Taschentuch hervor, tupft seine Stirn, auf der es nichts zu tupfen gibt, und räuspert
sich vernehmlich.
    „Verzeihung, aber was ist daran so,“, er
scheint nach dem richtigen Wort zu suchen, „unverständlich?“
    Der Präsident ist irritiert. Ein Blick nach
links, Auftritt des exakt gescheitelten namenlosen jungen Herrn. Überschreitung
der Zuständigkeiten, unverständlich, ein Affront. Immunität, schließlich sei
der Herr Staatssekretär ja auch Mitglied des Bundestages!
    Hanschke greift in seine Aktentasche und schon
segelt ein abgegriffenes Buch über den Tisch: „Das Strafgesetzbuch. Falls einer
der Herrn Erinnerungslücken hat, stehe jederzeit für sachdienliche Hinweise zur
Verfügung.“
    Schweigen. Das Gesetzbuch liegt auf dem Tisch wie
eine Kriegserklärung. Der Polizeipräsident lockert seine Krawatte.
    Martens, Mader und ich wurden gerade zum
Publikum degradiert. Das Kerlchen richtet sich auf.
    „Bitte.“ Hanschke übernimmt die
Gesprächsleitung, freundlich und bestimmt.
    „Kurzum: Dieser Fall fällt nicht in Ihre Zuständigkeit.“
    „Ach nee? Von welchem Fall sprechen Sie?“
    „Stellen Sie sich nicht dumm! Der Mordfall ist
Ihnen entzogen worden.“
    Die blassblauen Augen hinter der randlosen
Brille nehmen Hanschke ins Visier, der verständnisvoll lächelt: „Es liegt mir
fern, Sie belehren zu wollen, aber - wir führen gar keine Mordermittlung.“
    Der Chef schaut auf den Abgesandten, der hektisch
beginnt, den Inhalt seiner Kollegmappe auf dem Tisch auszubreiten.
    „Der Herr Staatssekretär …“ Weiter kommt er nicht.
    „Hat den Herrn Senator kontaktiert und
empfindet die Vorgehensweise als empörend!“, vervollständigt Hanschke. „Das
kann ich sehr wohl verstehen, Herr?“ Hanschke lächelt erwartungsvoll.
    „Schmidt-Brauner“, der Abgesandte holt Luft: „Wir
können von Glück sagen, wenn wir mit einer Entschuldigung in aller Form davon
kommen.“
    Der Alte hört zu. Hanschke wirkt zu
siegessicher. Ihm schwant, dass es gleich zum Eklat kommt. Versöhnlich: „Meine
Herren, wollen wir nicht zuerst doch die Sachlage klären?“
    Allgemeine Zustimmung. Alle Augen richten sich
auf mich. Mein Handrücken sammelt die Schweißtropfen von der Stirn, während ich
repetiere wie im Abschlussseminar.
    „Ein Pädophiler?“, ungläubiges Staunen.
    „Sie erwarten doch nicht, dass ich mit dieser
Botschaft zum Senator gehe?“
    Hanschke atmet hörbar leidend aus: „Zu wem Sie gehen
ist mir …“, er hebt den Kopf, „mit Verlaub - scheißegal. Was Sie, sollten Sie
ihn denn treffen, Ihrem Senator aber von mir ausrichten können: Wenn ich auch
nur noch einmal den leisesten Verdacht habe, dass ihm die Rolle der
Staatsanwaltschaft bei der Ermittlung eines Kapitalverbrechens nicht klar ist,
dann, Sie können das auch mitschreiben, dann erkläre ich ihm das gern in aller
Öffentlichkeit. Noch Fragen?“
    Spiel, Satz und Mader: „Und falls Sie dennoch Zweifel
haben, sollten Sie vielleicht Prof. Schenkendorff konsultieren.“
    So unschuldig und freundlich,
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