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Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)

Titel: Cold Fury: Roman (Heyne fliegt) (German Edition)
Autoren: T. M. Goeglein
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eingenommen gewesen wäre.
    Onkel Buddy gefiel diese Geschichte ein bisschen zu sehr.
    Heute weiß ich um seine furchtbare Eifersucht darauf, wer mein Vater war und was er besaß, aber das versteckte er unter einer dünnen Schicht aufgesetzter guter Laune.
    Er tat so, als würde er uns lieben, aber eigentlich verabscheute er uns, und auch dieses Gefühl verbarg er meisterlich.
    Stundenlang saß er bei meiner Mutter in der Küche und erzählte ihr lustige Geschichten, brachte sie zum Lachen, während sie mit ihren wohlgeformten Daumen und Zeigefingern leckere kleine Ravioli fertigte, und er half meinem Vater, die vom Blitz getroffene Wetterfahne wieder auf dem Schieferdach unseres großen, alten Hauses an der Balmoral Avenue zu befestigen. Mein Onkel setzte mich gern in sein rostiges, rotes Cabrio und fuhr mich überall hin, wo ich gerade hinwollte – an den Strand von Foster Beach oder zum Art Institute, Chicagos großem Kunstmuseum; er fuhr mich sogar zum Einkaufen zur Michigan Avenue, auch wenn er sich dort schrecklich langweilte. An warmen Sommerabenden fuhren wir oft alle gemeinsam zum Baseballstadion Wrigley Field: Onkel Buddy hatte uns sogar extra faltbare Stadionsitze gekauft, damit wir es bequemer hatten, wenn wir seinem Lieblingsspieler bei den Cubs zujubelten, dem großen Dominic Hughes.
    Ganz besonders erinnere ich mich an ein spezielles gemeinsames Frühstück im Lou Mitchell’s.
    Das war Onkel Buddys Lieblingsdiner in Chicago.
    Er liebte alles an diesem Schnellrestaurant, von der Neon-Leuchtreklame draußen an der Fassade bis zu den kleinen Sitznischen. Und genau in diesem Laden saßen wir und teilten uns Blaubeerpfannkuchen, die so groß waren, dass sie über den Tellerrand hingen, als meine Mom und mein Dad, die auf der Bank uns gegenüber saßen, sich geheimnisvoll anlächelten und meine Mom sagte, dass sie schwanger sei und einen Jungen erwartete. Ich erinnere mich, wie mein Dad – ein Mann von großem und sehnigem Körperbau (den habe ich von ihm geerbt) und mit Dreitagebart (den glücklicherweise nicht) – ganz breit lächelte, den Arm um meine Mutter legte und sie an sich zog. Ich erinnere mich auch noch an das Gesicht meiner Mom. Mom ist wunderschön, mit grünen, leicht mandelförmigen Augen, hohen Wangenknochen (auch die habe ich geerbt – vielen Dank, Mom) und welligem schwarzem Haar. Damals schien sie richtig zu strahlen. Ich war noch klein, ganz durcheinander und furchtbar aufgeregt, und vielleicht erinnere ich mich deswegen nicht mehr richtig an das, was danach geschah. Ich glaube aber schon.
    Ich erinnere mich nämlich noch an Onkel Buddys entgeisterten Gesichtsausdruck.
    Er starrte meinen Dad an und sagte: »Noch ein männlicher Rispoli«, als sei das eine schlechte Nachricht. Dann aber schüttelte er sich, als ob er aus einer Trance erwachte, setzte sein breites Buddy-Lächeln auf und sagte: »Hey, wo du es uns schon hier erzählt hast, solltest du den Kleinen Lou nennen!« Meinen Eltern gefiel das wohl, denn ein paar Monate später kam mein kleiner Bruder als Lou Mitchell Rispoli im Northwestern Hospital zur Welt.
    Es war komisch, plötzlich ein kleines Baby im Haus zu haben. Vorher hatte ich im Mittelpunkt gestanden, bei meinen Eltern ebenso wie bei meinen Großeltern und Onkel Buddy. Nun aber scharwenzelten sie alle um den Kleinen herum, nahmen ihn auf den Arm und küssten ihn und sangen ihm leise italienische Wiegenlieder vor. Versteht mich nicht falsch, ich fand es auch schön, mit Lou zu kuscheln und ihn zu knuddeln. Ich fand es toll, wie er roch, und besonders liebte ich seine langen Wimpern und die dicken, kleinen Finger. Aber nach einer Weile reichte es mir dann auch. In diesen ersten beiden (unglaublich langen) Jahren nach Lous Geburt, in denen mein Bruder wie ein kleiner Prinz behandelt wurde, meine Mutter an der Schule unterrichtete und mein Dad bis spätabends in der Bäckerei arbeitete, bekam ich allmählich das Gefühl, dass man mich vergessen hatte. Obwohl ich noch klein war, war mir aber schon damals klar, dass eine Rispoli keine Szene macht. Wenn mich also ein Anflug von Selbstmitleid überkam, dann jammerte ich nicht oder weinte, sondern klappte mein Lieblingsbuch auf ( Laura Lane, die junge Spionin ) und starrte auf die Seiten. Ich hatte erst vor Kurzem lesen gelernt und beherrschte diese Kunst noch nicht sehr flüssig, aber das war egal, weil mich die Wörter ohnehin nicht interessierten. Sie dienten nur als Richtpunkt, auf dem meine Augen ruhen konnten,
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