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Coe, Jonathan

Coe, Jonathan

Titel: Coe, Jonathan
Autoren: Die ungeheurliche Einsamkeit des Maxwell Sim
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Engländer,
richtig?«
    »Ha! - unser Akzent, der alte
Verräter. Ja, wir sind für drei Wochen herübergekommen. Meine Frau stammt aus
Australien. Wir besuchen ein paar Verwandte von ihr.«
    »Das da drüben ist Ihre
Frau?«, fragte ich und zeigte auf die hübsche Blonde, die bei den blassen
jungen Mädchen auf den Felsen stand.
    »Ja, richtig.«
    Ich schaute mir den Mann
genauer an.
    »Es klingt vielleicht etwas
seltsam«, sagte ich, »aber kann es sein, dass wir uns schon mal irgendwo
gesehen haben?«
    »Wissen Sie, genau das habe
ich eben auch gedacht. Ich glaube, ja. Ich bin sogar sicher - ich weiß auch
noch, wo das war.«
    »Tja, das haben Sie mir
voraus«, sagte ich. »Bitte nehmen Sie's nicht persönlich, aber ich habe in den
letzten Wochen so viele Leute getroffen ...«
    »Ich kann das gut verstehen«,
antwortete der Mann. »Außerdem ist es fast ein bisschen irreführend zu sagen,
wir wären uns begegnet. Unsere Wege haben sich gekreuzt - das würde den
Sachverhalt besser beschreiben. Wir haben nicht miteinander gesprochen.«
    »Und wo war das?«
    »Sie erinnern sich wirklich
nicht?«
    »Ich fürchte, nein.«
    »Es war am Flughafen Heathrow,
vor fast zwei Monaten. Sie saßen in einem der Cafes und wollten einen
Cappuccino trinken, aber der war so heiß, dass Sie ihn kaum anfassen konnten.
Ich habe am Nebentisch gesessen und auf den Abflug nach Moskau gewartet.«
    »Richtig! Ihre Frau und Ihre
Töchter waren auch dabei.«
    »Sie hatten mich zum Flughafen
gebracht.«
    Ja, ich erinnerte mich. Von
dieser Begegnung hatte ich Lian nichts erzählt bei meinem Rechenschaftsbericht
über den Verlauf der letzten Wochen. Ich erinnerte mich, dass ich das Gespräch
der Familie mit angehört und mich darüber gewundert hatte.
    »Warum sind Sie damals nach Moskau
geflogen?«, fragte ich. »Ich habe ein paar Brocken Ihres Gesprächs
aufgeschnappt, und ich glaube, es war von ... Interviews die Rede.«
    »Richtig. Es war eine
PR-Reise. Ich bin Schriftsteller, wissen Sie.«
    »Aha - ein Schriftsteller.
Dann verstehe ich.« Ich dachte, dass Caroline es sicher aufregend gefunden
hätte, einem leibhaftigen Schriftsteller zu begegnen. Mein Entzücken hielt sich
in Grenzen. »Müsste ich von Ihnen gehört haben?«, fragte ich.
    Er lachte. »Nein. Natürlich nicht.«
    »Was für Bücher schreiben Sie?«
    »Hauptsächlich Romane. Belletristik.«
    »Aha. Ich lese nicht viele Romane. Haben Sie gerade
etwas in Arbeit?«
    »Ich schließe gerade einen
Roman ab, wenn Sie mich so fragen. Ich bin schon fast am Schluss angekommen.«
    Ich hoffte, dass mein
Kopfnicken ermutigend wirkte. Dann verstummten wir beide.
    »Eine Frage drängt sich mir
immer wieder auf bei Schriftstellern«, sagte ich. »Woher nehmen Sie die vielen
Ideen?«
    Er sah mich etwas verwundert
an, als hätte ihm noch nie jemand diese Frage gestellt.
    »Hmmm - schwierige Frage«,
sagte er. »Wissen Sie, das lässt sich schlecht generalisieren ...«
    »Na ja, nehmen wir doch
einfach das Buch, das Sie gerade abschließen.«
    »Woher ich die Idee dazu
genommen habe, wollen Sie wissen?«
    »Ja, zum Beispiel.«
    »Also, warten Sie mal.« Er
lehnte sich zurück in die Bank und schaute in den Himmel. »Es ist gar nicht
leicht, sich an jede Einzelheit zu erinnern, aber ... Ja, so war es! Ich kann
Ihnen genau erzählen, woher ich die Idee hatte.«
    »Bitte.«
    »Also, das war vor zwei Jahren
- Ostern 2007, heißt das -, da bin ich auch mit meiner Familie in Australien
gewesen, und eines Abends haben wir in dem Restaurant gegessen, von dem aus man
auf den Hafen von Sydney schaut, und da habe ich eine Chinesin mit ihrer
Tochter gesehen, die zusammen an ihrem Tisch Karten gespielt haben.« Ich starrte
ihn an.
    »Und ich weiß nicht mal genau,
was es war«, sagte er, »aber an den beiden hat mich etwas tief berührt - sie
schienen sich so nah zu sein, eine so feste Einheit zu bilden, dass ich mir
überlegt habe, was dabei herauskäme, wenn ich die beiden von einem Mann
beobachten lassen würde, der allein in dem Lokal sitzt, wenn ich diesen Mann
einen Blick in eine Welt werfen lassen würde, von der er gerne ein Teil wäre.«
    Ich wollte ihn unterbrechen,
aber er war richtig in Fahrt gekommen.
    »Und auf derselben Reise hab
ich mich mit Ian getroffen - meinem alten Freund Ian von der Universität
Warwick, der jetzt Dozent an der Australischen Nationaluniversität in Canberra
ist. Wir waren im Teehaus des Botanischen Gartens in Melbourne verabredet, aber
mir war nicht klar gewesen, dass es
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