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Codex Mosel

Titel: Codex Mosel
Autoren: Mischa Martini
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Schritte auf dem Marmorboden schien als einheitliches Echo von den hohen Wänden zurückgeworfen zu werden.
    Draußen verstummten die Martinshörner. Walde hob den Blick zur Orgel, die hoch oben, einem Schwalbennest nachempfunden, an der Seite des Hauptschiffs klebte. Die automatische Eingangstür schwang auf. Weitere Polizisten in Uniform kamen mit gezückten Waffen herein.
    »Sichert den Eingang und haltet euch bereit!«, rief Walde ihnen zu.
    *
    Sie hätte nicht um Hilfe rufen sollen. Noch nicht! Edith hörte mit Entsetzen, wie die Tür aufgerissen wurde und die Männer von letzter Nacht zurückkamen.
    »Hat jemand ein Messer?«, fragte eine dunkle Stimme.
    Sie würde nicht mehr um Hilfe rufen. Dafür war es nun zu spät.
    Jemand legte ihr eine Hand auf die Schulter. Sie zuckte zusammen.
    »Alles in Ordnung, Sie sind in Sicherheit.«
    Sie zuckte erneut, als ihr Handgelenk berührt wurde.
    »Mein Name ist Bock, Kriminalpolizei Trier. Sind Sie verletzt? Ich öffne Ihnen nun die Fesseln.«
    Sie schüttelte den Kopf. Sie konnte nicht sprechen. Zu nah waren die Tränen, und wenn sie denen freien Lauf ließ, würde sich wahrscheinlich ihre Blase anschließen.
    »Wie lange sind Sie schon hier gefangen?«
    »Seit kurz nach Mitternacht.«
    Nebenan wurde eine Nummer in ein Mobiltelefon eingegeben: »Schicken Sie einen Notarzt zum Dom!«
    *
    Die beiden Sakristane hatten den ohnmächtigen Domkapitular Alfons Adams behutsam von seinen Fesseln befreit und in eine stabile Seitenlage gebracht. Gabi und einer der Domgeistlichen begleiteten die Fotografin in die Sakristei zur Toilette. Walde nahm von der Tür aus den Raum in Augenschein. Alle Vitrinen waren beleuchtet. Die glänzenden Kelche, Kreuze und Monstranzen konnten seinen Blick nicht von den leeren Schaukästen, den Fotokoffern und dem Stativ vor der Staffelei in der Mitte des Raumes ablenken.
    »Die Technik ist unterwegs«, raunte ihm Grabbe zu. »Harry kümmert sich darum, dass der Dom für Besucher gesperrt wird.«
    Walde nickte. »Gib im Präsidium Bescheid, was passiert ist, damit eine Großfahndung eingeleitet wird. Keine Straßensperren, aber mit Grenzschutz und Interpol.«
    »Mach ich.«
    »Gut.« Walde war klar, dass die Täter mehr als neun Stunden gehabt hatten, um sich aus dem Staub zu machen. Für hektische Aktivitäten bestand kein Anlass. Draußen wurde eine Sirene lauter. Walde verließ die Schatzkammer und ging bis zur Treppe.
    Sanitäter und eine Notärztin kamen im Laufschritt durch die sich automatisch öffnenden Glastüren. Walde winkte. »Hierher!«
    *
    Wer weiß, vielleicht hatte auf dieser Toilette noch nie eine Frau Platz nehmen dürfen. Edith schloss beim Wasserlassen vor Erleichterung die Augen. Die Kriminalbeamtin mit den hohen Absätzen und der Kuttenträger, diesmal ein echter Geistlicher, hatten sie in die Domsakristei gebracht. Was heißt gebracht. Sie hatten sie mehr oder weniger schleifen müssen. Da, wo gestern Abend noch Füße waren, fühlte sie nur Watte.
    Endlich schien ihre Blase geleert. Nachdem Edith die Wasserspülung gedrückt hatte, stützte sie sich beim Aufrichten mit der Hand auf den metallenen Spülkasten. An den Handgelenken und in ihrem Haar pappten noch Streifen des Klebebandes.
    Mit einem Mal schossen unerträgliche Schmerzen in die gefühllose Watte. Edith stöhnte auf und ließ sich zurück auf die Klobrille fallen.
    »Brauchen Sie Hilfe?« Die Stimme der Kripobeamtin klang besorgt.
    »Meine Füße, sie tun entsetzlich weh.«
    »Das Blut beginnt wieder zu zirkulieren. Das wird wohl noch ein Weilchen dauern. Bleiben Sie sitzen. Je weniger Druck auf den Füßen ist, umso weniger Schmerzen werden Sie haben.«
    Erst glaubte Edith, die Ameisen seien wiedergekommen, doch diesmal krabbelten sie nicht nur, sie fraßen sich mit tausend Mäulern in ihre Beine. Gleichzeitig baute sich in ihrer Wade ein Druck auf, als würde sie von innen zum Platzen gebracht werden.
    »Vielleicht sollten Sie sich hinlegen?«, sagte die Polizistin, die ihr Jammern hörte.
    Durch die Tränen hindurch sah Edith auf den Boden, der sie so schmerzlich an die vergangenen Stunden erinnerte. »Doch nicht hier.«
    »Ich bringe Sie raus«, sagte Gabi.
    Die Schmerzen waren kaum mehr zu ertragen. Edith schrie auf, als sie sich aufrichtete und ihre Beine verkrampften.
    Gabi half ihr, die Hose hochzuziehen. Einen Arm über die Schultern der Frau gelegt und von ihr um die Taille gefasst, ließ sie sich aus der Toilette schleifen und in den ersten Raum hinein
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