Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition)
Autoren: Régis Jauffret
Vom Netzwerk:
Boden. Er hat sie angesehen.
    ,,Man fragt sich, wovon sie lebt.“
    Er hat gelächelt.
    ,,Sie hat ja kaum mehr Fleisch auf den Rippen.“
    Ihr Bauch ist gebläht wie eine Hautblase. Seit gestern Morgen hat sie nicht mehr in die Binde gepinkelt. Ich weiß nicht, ob ihre Nieren tot sind und man sie im Spital mit Elektroschocks wiederbeleben kann wie ein Herz.
    Martin war außer Atem, er hat sich hingehockt. Er hat ihm Tritte verpasst, damit er wieder aufsteht.
    Wir haben Petra nach vorne gesetzt, er hat den Sicherheitsgurt angelegt.
    ,,Wenn wir einen Unfall haben, ist sie wenigstens nicht entstellt.“
    Blutiger Speichel ist ihr aus dem Mundwinkel gelaufen.
    ,,Hoffentlich macht diese dumme Gans die Sitze nicht schmutzig!“
    Er hat zu mir gesagt, er würde Petra bis morgen früh im Wagen lassen, ich habe gesagt, Spitäler seien die ganze Nacht geöffnet, er hat mich angeschnauzt.
    ,,Ich bin müde, ich brauche meinen Schlaf. Du, du machst nichts, und ich mit meinen zweiundsiebzig Jahren muss mich noch immer abrackern, um euch zu ernähren!“
    Sie muss sich an den vielen Sauerstoff gewöhnen, ich will nicht, dass sie allein im Auto stirbt.
    Er nahm mich an der Schulter.
    ,,Und jetzt geht schleunigst wieder zurück!“
    Ich hatte es eilig, wieder hinunterzukommen, Roman war allein, außerdem hatte ich eine Suppe auf dem Herd stehen. Martin hat leise geschrien, als wir den Garten durchquert haben. Als er geholfen hatte, seine Schwester zu tragen, hatte er sich Mühe gegeben, aufrecht zu gehen, jetzt aber ist er wieder auf allen vieren gekrabbelt. Er war orientierungslos, hat sich den Kopf an der Hausmauer angeschlagen, ist gefallen, ich habe ihm aufgeholfen, er ist mir zum Kellereingang gefolgt.
    Papa hatte alle Türen offen gelassen, damit er uns nicht begleiten musste. Ich hatte Roman angebunden, ich hatte zu große Angst, dass er uns folgen könnte. Wenn er nach oben gekommen wäre, hätte er sich verirrt.
    Martin ist losgeprescht, als wir wieder unten waren, ich konnte nicht mit ihm mithalten. Ich habe lange gebraucht, um die Türen wieder zu schließen, die Betontüren waren zu schwer, ich habe sie halb offen gelassen.
    Als ich kam, lag Martin neben Roman.
    Schimpfend hat er auf den Boden gestarrt. Sein Bruder hat ihm geantwortet. Sicherlich hat er ihm von seinem Sturz im Garten erzählt. Eine Reise an die Erdoberfläche. Sie haben die Luke angesehen, es hat ihnen davor gegraut, dass sie sich weit öffnen und die Luftschleuse sie einsaugen könnte.

Sie weigerten sich, den Tisch zu decken. Sie flüchteten unter die Stockbetten. Der kleine Roman in den Armen seines Bruders, der sich an ihn klammerte wie an eine Boje.
    Angelika stellte ihnen Teller neben das Bett, sie verschwanden sogleich. Sie hörte, wie sie ihre Suppe schlürften. Sie schob ihnen zwei Äpfel und harte Eier zu. Apfelbutzen und Eierschalen warfen sie wieder zurück.
    Sie hob die Stimme, damit sie dort herauskämen.
    ,,Kommt duschen!“
    Sie schliefen ein. Angelika versuchte, sie aus ihrem Versteck zu zerren. Sie schienen von ihrem Körper losgelöst zu sein. Ein Bewusstsein, das ganz allein in den Gehirnwindungen träumte.
    Angelika sah fern. Die österreichische Komödie strich über sie hinweg wie ein Luftzug. Sie legte sich das Polster auf den Kopf. Flucht in die Dunkelheit. Erleichterung, lebend in der Erde begraben zu sein. Angst vor einer Rückkehr zu den Elementen. Sie erinnerte sich an den Wind, der gerade eben noch die Zweige der Thujen erzittern ließ. Sie hoffte auf eine umgehende Rückkehr Petras, bevor sie sich an die frische Luft gewöhnen könnte.
    Und dass sie eine schlechte Erinnerung an ihren Blitzbesuch bei der Menschheit davontragen könnte. Angelika hatte keinerlei Sehnsucht nach diesem weiten Raum. Das selige Vergessen all des Treibens dort oben, der erschreckenden Fenster, des zu hohen Himmels, der geisterhaften Wolken, der Strahlen, die einen durchbohren, ohne dass man den Knopf findet, um die Sonne auszuschalten.
    Angelika stand auf. Werbung lief im Fernsehen. Sie wollte ihren Vater fragen, ob er ihr eine Packung dieser Kekse ohne Mehl, ohne Zucker, ohne Butter bringen könnte, die sättigten und gleichzeitig schlank machten. Neben der Spüle hatte sie ein Stück hartes Brot gegessen. Sie hoffte, Kalorien zu verbrauchen, indem sie lange kaute. Tote Nahrung, die ihr Magen durchlassen würde, ohne sie zu sehen.
    Sie fing an zu reden. Geflüsterte Worte, andere hinausgebrüllt. Lacher wie Punkte, Anführungszeichen – Gefühle,
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher