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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition)
Autoren: Régis Jauffret
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und die Schatten auf dem Bildschirm in der Höhle, über die Sokrates nie etwas sagen wird. Leere Phrasen der Medien, der Talkmaster, der Romanschreiber, des Rudels von Platons Lehrlingen, der Gaukler, der Magier der Syntax – Sand in die Augen des Stils.
    Das Heft ist belanglos. Ein unangenehmer Mitwirkender, flach und weiß. Der Filzstift quietscht auf der Seite wie ein verrosteter Wetterhahn. Manchmal wurde er übertönt vom Straßenlärm, von Annelieses Geschrei und dem der Kinder von oben, die auf dem Weg in die Schule nacheinander die Treppe herunterrannten.
    Der Keller ist bereits fern, kurz davor, ausgelöscht zu werden. Unwirklich, die Realität erstickt ihn schon. Der Keller hängt an einem Faden, der langsam reißt, und wird im Erdinneren in Feuer aufgehen, sobald sie ihn verlassen haben.
    Angelika schrieb vor dem Fernseher. Der Keller zog sich um den Bildschirm herum zusammen. Die Wirklichkeit begann, durch die Scheibe zu brechen und hereinzuströmen.
    Die Polizei bombardiert ihn mit Fragen. Man sucht die Sekte. Man nimmt Sektenführer fest. Ein Guru schwört, dass in seinem Ashram nur Männer leben. Ein Mann mit einem zerbeulten Hut sagt, er sei das einzige Mitglied seiner Gemeinde. Papa lächelt den Journalisten zu. Er wird uns vergasen. Er wird Petras Infusion vergiften, denn sie könnte gesund werden und reden.
    Am Abend des 25. April verkündet Fritzl seiner Tochter, dass der Exodus morgen beginnen werde.
    Am Morgen schnüren die letzten Kellerbewohner ihr Bündel. Dann beginnt der Aufstieg an die Oberfläche mit einem Deko-Stopp im Heizungskeller. Ein Sonnenstrahl fällt durch das Oberlicht. Die Mutter kneift die Augen zusammen, das Licht dringt kaum durch diese Schlitze, als würde sie eine Eskimobrille tragen. Martin und Roman schreien auf.
    ,,Verbinde ihnen die Augen.“
    Ein schwarzer Strumpf wird um den Kopf geknotet. Fritzl und Angelika schieben die beiden vor sich her. Blindekuh. In der rechten Hand hält Roman einen durchsichtigen Beutel, in dem der Goldfisch schwimmt, in der linken Tweetys Käfig. Das Türchen öffnet sich, als er damit an die Wand stößt. Der Kanarienvogel fliegt weg. Angelika hält das Kind an den Schultern fest, damit es nicht tastend nach dem Vogel sucht.
    Am Tag darauf flatterte er über den Polizisten herum, die zur Beweissicherung in den Keller gekommen waren. Angelika gab ihnen die Anweisung, den Vogel einzufangen. Zwei Stunden später kam ein Gendarm mit einem Schmetterlingsnetz herunter. Tweety bot den Ordnungskräften die Stirn – er hockte auf dem Kühlschrank und flog jedes Mal auf, wenn man sich ihm näherte. Eine langwierige Jagd. Am Abend bekam Roman den Vogel zurück. Er ging von allein in seinen Käfig wie ein erschöpftes, entlaufenes Schaf, das froh ist, wieder im Schoß der Familie zu sein.
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