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Claustria (German Edition)

Claustria (German Edition)

Titel: Claustria (German Edition)
Autoren: Régis Jauffret
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Hand verkrampft ist, löst Roman mich ab. Wenn Petra genügend Wasser bekommt, wird sie wieder gesund.
    Indem Angelika die Wirklichkeit erzählte, veränderte sie diese. Das Wort war tatsächlich am Anfang.
    Petra macht einen guten Eindruck. Sie trippelt aufs Klo. Sie hat mir beim Kochen geholfen. Beim Abendessen hat sie gesagt, ihr Schnupfen sei nur Theater gewesen. Ich habe ihr eine geschmiert und sie in die Speisekammer gestoßen. Ich glaube, Martin ist gar nicht so klein. Hier ist alles träge, und der Körper nimmt sich seine Zeit. Mit dreißig wird er größer sein als sein Vater, der dann schon vom Alter gebeugt sein wird. Petra ist im Bett gewachsen. Ein schönes Mädchen, groß wie ein Pferd. Ich habe Roman ins Bett geschickt, ich will aus ihm einen groß gewachsenen Lackel machen. Petra klaut mir meine Schminke, sie trägt meine hohen Absätze und scharwenzelt um ihren Vater herum. Roman ist noch zu klein, als dass ich Großmutter werden könnte. Sie hat sich das Gesicht mit Butter eingeschmiert, sie hält das für eine Gesichtsmaske.
    Ein magisches Heft:
    Schönes Wetter, die Sonne scheint durch die Decke. Es fehlen Dachziegel, die Strahlen dringen durch die Stockwerke. Die Kinder sind nicht geboren. Ich bin schwanger, wenn ich entbunden habe, kommt sie durch das Stillen schnell wieder auf die Beine. Petra ist tot, aber sie wird leben. Ich habe sie mit einer Flasche erschlagen. Martin hat mir geholfen, sie zu fesseln. Ich habe Papas Handy genommen, ich habe den Polizisten gesagt, dass ich sie hierher führen werde, indem ich mit einem Topf an die Luke schlage. Ich habe Mama angerufen, sie hat wohl eine andere Telefonnummer, es klingelt durch, Thomas hat das Telefon abgehoben. Ich sehe die Polizisten in einer Reihe auf der Straße, die Tür ist verschlossen, ich mache ihnen ein Zeichen, dass sie durchs Fenster steigen sollen. Es hagelt, im Haus ist man besser aufgehoben. Von einer Beerdigung im Regen will Petra nichts hören.
    Es gelang Angelika nicht, den Verstand zu verlieren. Der Keller war massiv, der Irrsinn prallte am Ende immer an den Wänden ab. Am Abend zuvor hatte Fritzl nach dem Abendessen ein Stündchen geschlafen. Angelika hatte Angst gehabt, ihn zu wecken, indem sie das Handy aus seiner Tasche gezogen hätte. Wenn sie ihm mit einem Küchengerät den Schädel eingeschlagen hätte, hätte Martin sich vielleicht verpflichtet gefühlt, sie zu töten, um den einzigen Mann in seiner Welt zu rächen.
    Petra in der Badewanne gab keinen Laut mehr von sich. Angelika fand, es lohne nicht mehr die Mühe, der Wirklichkeit zu widersprechen. Die Einbildung war eine verlorene Schlacht.
    Ich will keine tote Petra am Hals haben. Er wird nicht den Mut haben, Roman zu verlassen. Wenn er die Tür hinter uns zumacht, wird der Kleine reden. Er sagt, er finde Petras Krankheit nicht im Internet.
    ,,Man stirbt nicht an einer Krankheit, die es nicht gibt.“
    Sie ließ das Heft auf der Spüle liegen, schlüpfte zu Petra ins Bett. Sie legte ihre Tochter auf sich, damit sie ihre Wärme spürte. Sie fürchtete, unter ihrer kalten, toten Kleinen zu erwachen. Martin fing an zu weinen. Roman hing völlig fertig in einer Zimmerecke. Angelika verließ das Bett des Mädchens nicht mehr. Sie sagte kein Wort. Sie hatte Angst, sie zu töten, wenn sie einen Mucks machte. Sie atmete im gleichen Rhythmus mit Petra, um sie zu begleiten, sie zum Weiterleben zu ermutigen.

Eines Abends gab Fritzl nach: eine Woche im Spital, dann wäre Petra wieder gesund. Danach würde er sie oben in einem Zimmer unterbringen, sie würde friedlich schlafen. Am Morgen wäre sie dann verschwunden, wäre in ihr Heimatland zurückgekehrt.
    Anneliese würde sich fragen, ob Petra denselben Hang zum Weglaufen hatte wie ihre Mutter.
    ,,Wahrscheinlich hat Angelika sie in der Nacht geholt.“
    ,,Man hat sie aber nicht läuten gehört.“
    Anneliese würde erröten, weil sie widersprochen hatte.
    Fritzl würde dafür sorgen, dass Martin und Roman abnehmen. Er würde ein Rudergerät und einen Expander besorgen, damit aus ihrem schlaffen Fleisch harte Muskeln werden. Er würde so viele UV-Lampen kaufen, dass sich der Keller in ein Sonnenstudio verwandelt. Jedem würde er einen Outdoor-Rucksack kaufen, aus einer Seitentasche würde eine Feldflasche aus getriebenem Alu ragen. In den ersten Julitagen würde eine freudestrahlende Familie vor dem Haus stehen.
    Angelika würde begeistert von ihren Wanderjahren berichten.
    ,,Eine Sekte, die unter freiem Himmel gelebt und
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