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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Autoren: José Saramago
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rausgeschmissen.«
    Silvestre schlug mit der Faust auf den Tisch.
    »Der Mann ist ein Dreckskerl!«
    »Das hat er zu mir gesagt, als ich ihn vorhin zu Hause angerufen habe. Und dann hat er aufgelegt.«
    »Und was nun?«, fragte Mariana.
    »Was nun? Wenn der nicht so alt wäre, würde ich ihn rechts und links ohrfeigen. Aber so kann ich nicht mal das …«
    Silvestre stand auf und lief erregt durch die Küche.
    »Dieses Leben … Dieses Leben ist ein einziger Dreckhaufen. Überall nur Schweinereien! Dann ist also nichts zu machen?«
    »Ich fürchte, nein. Ich kann nur das tun, was ich tun muss …«
    Silvestre blieb stehen.
    »Was Sie tun müssen? Ich verstehe nicht …«
    »Ganz einfach. Ich kann nicht hierbleiben. Die ganze Nachbarschaft ist im Bilde. Man würde es für den Gipfel an Dreistigkeit halten, wenn ich bliebe. Außerdem wird sie sich bestimmt auch nicht wohl fühlen, wenn ich hier bleibe, weil sie ja weiß, was die Nachbarn sagen.«
    »Wie bitte? Sie wollen gehen?«
    Abel lächelte, sein Lächeln wirkte etwas müde.
    »Ob ich gehen will? Nein, ich will nicht, aber ich muss. Ich habe mir schon ein Zimmer gesucht. Morgen ziehe ich um … Bitte sehen Sie mich nicht so an …«
    Mariana weinte. Silvestre ging zu ihr, legte ihr die Hand auf die Schulter, wollte etwas sagte, brachte aber nichts heraus.
    »Dann … dann …«, sagte Abel.
    Silvestre rang sich ein Lächeln ab.
    »Wenn ich eine Frau wäre, würde ich auch weinen. Weil ich aber keine Frau bin …«
    Er drehte sich abrupt zur Wand um, als wollte er verhindern, dass Abel sein Gesicht sah. Der junge Mann stand auf und drehte ihn wieder zurück.
    »Was ist? Wollen wir jetzt alle weinen? Das wäre eine Schande …«
    »Es tut mir so leid, dass Sie gehen!«, schluchzte Mariana. »Wir hatten uns schon so an Sie gewöhnt. Als gehörten Sie zur Familie!«
    Abel war gerührt. Er sah sie abwechselnd an, dann fragte er langsam:
    »Meinen Sie wirklich, ich soll bleiben?«
    Silvestre zögerte einen Moment, dann antwortete er:
    »Nein.«
    »Silvestre«, rief seine Frau, »warum sagst du nicht ja? Vielleicht würde er dann bleiben!«
    »Du bist naiv. Abel hat recht. Es fällt uns schwer, aber was bleibt uns übrig?«
    Mariana trocknete sich die Augen und schnäuzte sich kräftig. Sie versuchte zu lächeln.
    »Aber Sie kommen uns hin und wieder besuchen, ja, Senhor Abel?«
    »Nur wenn Sie mir eines versprechen …«
    »Ich verspreche Ihnen alles …«
    »Dass Sie endgültig den Senhor weglassen und mich nur noch mit Abel anreden, ohne den Herrn. Einverstanden?«
    »Einverstanden.«
    Sie waren glücklich und traurig zugleich. Glücklich, weil sie sich liebten, traurig, weil sie sich trennen mussten. Es war das letzte gemeinsame Abendessen. Gewiss würde es noch weitere geben, später, wenn sich alles beruhigt hätte und Abel wieder zu ihnen kommen könnte, doch dann würde es anders sein. Dann würden nicht mehr drei Menschen zusammensitzen, die unter demselben Dach wohnten, ihre Freuden und ihren Kummer miteinander teilten, so wie Wein und Brot. Der einzige Ausgleich bestand in Liebe – nicht in Liebe, zu der Verwandtschaft verpflichtet, eine so manches Mal von Konventionen aufgezwungene Last, sondern spontane Liebe, die sich aus sich selbst nährt.
    Während Mariana nach dem Essen das Geschirr spülte, packte Abel mit Silvestres Hilfe seine Sachen. Sie waren schnell fertig. Abel streckte sich mit einem Seufzer auf dem Bett aus.
    »Verärgert?«, fragte der Schuster.
    »Allerdings. Es reicht doch, dass uns quält, was wir bewusst an Bösem tun … Aber wie man sieht, kann schon allein die Tatsache, dass wir existieren, schlecht sein.«
    »Oder auch gut.«
    »In diesem Fall war es das nicht. Wäre ich nicht bei Ihnen eingezogen, wäre das vielleicht nicht passiert.«
    »Vielleicht … Aber wenn der Briefschreiber fest entschlossen war, den Brief zu schreiben, hätte er so oder so eine Möglichkeit für seine Verleumdung gefunden. Sie passten ihm gerade gut in den Plan, es hätte auch jeder andere sein können.«
    »Sie haben recht. Aber ausgerechnet mir musste das passieren!«
    »Ja, Ihnen, wo Sie doch so vorsichtig sind und alle Tentakel durchschneiden …«
    »Machen Sie sich nicht über mich lustig!«
    »Das tue ich auch nicht. Tentakel durchschneiden reicht nicht. Sie ziehen morgen aus. Sie verschwinden, der Tentakel ist durchgeschnitten. Aber er bleibt hier, in Form meiner Freundschaft zu Ihnen, in der Veränderung von Dona Lídias
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