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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Autoren: José Saramago
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junger Mann von Ende zwanzig mit solcher Reife, solcher Sicherheit schreiben konnte, die bereits literarische Ambitionen verrät sowie seinen Arbeitsplan und sein Einfühlungsvermögen so deutlich erkennen lässt? Ja, diese Fragen stellen sich die Leser. Woher nahm Saramago die Weisheit, die Fähigkeit, Figuren so subtil und mit so sparsamen Mitteln zu charakterisieren, harmlose und ebenso tiefsinnige wie allgemeingültige Situationen zu schildern, Grenzen auf so brutal gelassene Art zu überschreiten? Ein junger Mann, wir erinnern uns, noch keine dreißig Jahre alt, der nicht die Universität besucht hat, Sohn und Enkel von Analphabeten, Mechaniker von Beruf, dann Büroangestellter, der es wagt, den Kosmos, den ein Mietshaus bildet, mit seinem eigenen Kompass und mit Pessoa, Shakespeare, Eça de Queirós, Diderot und Beethoven als freundlichen Begleitern zu erkunden. Dies ist der Eintritt in das Universum Saramago, so wurde es schon damals umrissen.
    In
Claraboia
finden sich Saramagos männliche Figuren wieder, der einfach H Genannte aus
Das Handbuch der Malerei und der Kalligraphie
, Ricardo Reis aus
Das Todesjahr des Ricardo Reis
, Raimundo Silva aus
Geschichte der Belagerung von Lissabon
, Dom José aus
Alle Namen
, der Musiker aus
Eine Zeit ohne Tod
, Kain, Jesus Christus, Cipriano Algor, all die wortkargen, einsamen, freien Männer, die eine Liebesbegegnung brauchen, um für einen Augenblick ihr konzentriertes und introvertiertes Dasein zu durchbrechen.
    Auch Saramagos starke Frauen werden in
Claraboia
sichtbar. Wenn der Autor sich an den weiblichen Figuren delektiert, zeigt sich seine Fähigkeit, gegen Regeln zu verstoßen, besonders deutlich und unverhohlen: Lídia, von einem Geschäftsmann ausgehalten, erteilt diesem eine Lektion in Würde, es geht um lesbische Liebe, die tradierte Unterwürfigkeit, die sich im Schoß der Familie als pathetisch erweist, die unerträgliche gesellschaftliche Verurteilung, Vergewaltigung, Trieb, die Kraft, sich zu behaupten, die Beschränktheit der kleinen Lebensverhältnisse und die Ehrlichkeit, die in manchen Figuren steckt, auch wenn sie es leid sind, so viel Mangel und Unglück zu ertragen.
    Claraboia
ist ein Roman, der von seinen Charakteren lebt. Er spielt in Lissabon Anfang der fünfziger Jahre, als der Zweite Weltkrieg beendet ist, nicht aber die Salazar-Diktatur, die wie ein Schatten oder ein Schweigen über allem liegt. Es ist kein politischer Roman, folglich wäre es falsch, zu glauben, er sei der strengen Zensur zum Opfer gefallen und deshalb seinerzeit nicht veröffentlicht worden. Allerdings hat angesichts der damals herrschenden Fügsamkeit zu der Entscheidung, das Buch nicht zu veröffentlichen, fraglos Folgendes beigetragen: Es ist ein Roman, der geltende Werte missachtet, in dem die Familie kein Synonym für Heim ist, sondern für Hölle, wo der äußere Schein mehr zählt als die wahre Realität, wo gewisse Utopien, die zunächst löbliche Ziele zu sein scheinen, ein paar Seiten weiter relativiert werden und wo die Misshandlung von Frauen ausdrücklich verurteilt wird oder ganz selbstverständlich von gleichgeschlechtlicher Liebe die Rede ist, zwar unter Beklemmung von der betreffenden Figur geäußert, doch ohne Verurteilung seitens des Autors. Allzu stark, allzu gewagt, aus der Feder eines Unbekannten, viel zu mühselig, es gegenüber der Gesellschaft zu verteidigen, gemessen daran, wie wenig man damit verdienen würde. Wahrscheinlich blieb das Buch deshalb liegen, ohne ein verbindliches Ja, ohne ein Nein, das auch für die Zukunft gegolten hätte. Vielleicht, und damit wenden wir uns wieder der Spekulation zu, hat man es für später liegen lassen, wenn die Zeiten sich geändert hätten, ohne zu ahnen, dass es Jahrzehnte dauern würde, bis die sogenannte politische Öffnung allmählich erkennbar wurde. In der Zwischenzeit gingen und kamen Generationen und mit ihnen das Vergessen. In der Welt und im Verlag. Auch José Saramago hatte eine andere Beschäftigung, er arbeitete als Lektor, hatte sein Schweigen und seine Einsamkeit überwunden und bereitete sich darauf vor, weitere Bücher zu schreiben.
    Das Leben war nicht einfach für José Saramago. Zu der Kränkung, von dem Verlag keine Antwort zu
Claraboia
erhalten zu haben, das er spätabends nach anstrengenden Arbeitstagen in prekären Beschäftigungen geschrieben hatte, kamen weitere Brüskierungen, weil er unbekannt war, nicht studiert hatte, nicht der Elite angehörte – wichtige Faktoren in einer
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