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Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Claraboia oder Wo das Licht einfaellt

Titel: Claraboia oder Wo das Licht einfaellt
Autoren: José Saramago
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kleinen Gesellschaft wie der Lissabons in den fünfziger und sechziger Jahren. Seine späteren Kollegen machten sich über ihn lustig, weil er stotterte, und wegen dieses Problems, das er überwinden konnte, blieb er immer zurückhaltend; das große Wort überließ er anderen, er beobachtete und lebte fest verankert in seiner inneren Welt, vielleicht konnte er deshalb so viel schreiben. Nachdem er
Claraboia
eingereicht hatte, vergingen zwanzig Jahre, bis er wieder etwas veröffentlichte. Er machte einen Neuanfang mit Lyrik –
Os Poemas Possíveis
und
Provavelmente Alegria
 –, der dritte Band,
O Ano de 1993 ,
schlägt bereits eine Brücke zum Erzählen. Des Weiteren zwei Bücher mit Zeitungschroniken, die Kurzprosa sind. Auch
Claraboia
kommt darin vor, obgleich niemand wusste, dass dieser Roman existierte, aufgespart für den Zeitpunkt, da er dem Leser mehr bedeuten würde als nur ein verlorengegangenes Buch.
    Claraboia
ist das Geschenk, das Saramagos Leser verdienen. Damit schließt sich nicht etwa eine Tür, im Gegenteil, sie wird weit geöffnet, damit man sein Werk noch einmal liest, nun im Licht und aus der Perspektive dessen, was der Schriftsteller als junger Mann schon sagte.
Claraboia
ist das Tor zu Saramago und wird für jeden Leser eine Entdeckung sein. Als schlösse sich nun ein Kreis. Als gäbe es den Tod nicht.
     
    Pilar del Río, Präsidentin der Fundação José Saramago

Claraboia oder
Wo das Licht einfällt

In Erinnerung an Jerónimo Hilário, meinen Großvater

In allen Seelen, wie in allen Häusern,
    ist etwas hinter der Fassade verborgen.
     
    Raul Brandão

1
    D urch die Schleier, die in seinem Schlaf wehten, vernahm Silvestre erstes Klappern von Geschirr, und er hätte schwören können, dass Lichter durch die großen Maschen der Schleier schimmerten. Er wollte schon ärgerlich werden, doch plötzlich wurde ihm bewusst, dass er gerade erwachte. Er blinzelte ein paarmal, gähnte, blieb regungslos liegen und spürte, wie der Schlaf langsam wich. Mit einem Ruck setzte er sich im Bett auf. Reckte sich, sodass die Gelenke in den Armen ordentlich knackten. Unter dem Unterhemd schoben sich die Rückenmuskeln zitternd hin und her. Er hatte einen kräftigen Oberkörper, kräftige, feste Arme und über den Schulterblättern starke Muskelstränge. Diese Muskeln brauchte er für sein Schusterhandwerk. Seine Hände waren wie versteinert, die Haut auf den Handinnenflächen so dick, dass man sie mit Nadel und Faden durchstechen konnte, ohne dass es blutete.
    Mit einer langsamen Drehung schwenkte er die Beine aus dem Bett. Die dünnen Schenkel und die Kniescheiben, inzwischen weiß, weil die Hosenbeine die Härchen abscheuerten, machten Silvestre zutiefst traurig. Sein Oberkörper erfüllte ihn mit Stolz, keine Frage, doch auf seine Beine war er wütend, so mickrig, kaum zu glauben, dass es seine waren.
    Während er lustlos seine auf dem Teppich ruhenden nackten Füße betrachtete, kratzte er sich den graumelierten Kopf. Dann fuhr er sich mit der Hand übers Gesicht, betastete die Knochen und den Bart. Unwillig stand er auf und ging ein paar Schritte durchs Schlafzimmer. Er bot einen etwas sonderbaren Anblick: in Schlüpfer und Unterhemd auf langen, stelzenartigen Beinen, der Haarschopf wie mit Pfeffer und Salz gesprenkelt, die große Hakennase und dann der mächtige Rumpf, den die Beine kaum tragen konnten.
    Er suchte nach der Hose, fand sie aber nicht. Den Hals zur Tür hin gereckt, rief er:
    »Mariana! He, Mariana! Wo ist meine Hose?«
    (Stimme von drinnen:)
    »Kommt gleich!«
    Marianas Gang verriet, dass sie dick war und sich nicht schnell bewegen konnte. Silvestre musste eine ganze Weile warten, und er wartete geduldig. Seine Frau erschien in der Tür.
    »Hier ist sie.«
    Sie trug die Hose zusammengelegt über dem rechten Arm, einem Arm, der dicker war als Silvestres Beine, und sprach weiter:
    »Ich weiß nicht, was du mit den Hosenknöpfen machst. Jede Woche ist einer weg. Wie es aussieht, muss ich sie wohl in Zukunft mit Draht annähen …«
    Marianas Stimme war so füllig wie sie selbst. Und so offen und gutmütig wie ihre Augen. Sie dachte nicht im Entferntesten, dass sie etwas Witziges gesagt hatte, aber ihr Mann lachte mit allen Falten seines Gesichts und den wenigen Zähnen, die er noch besaß. Er nahm die Hose entgegen, zog sie unter dem nachsichtigen Blick seiner Frau an und war zufrieden, denn angezogen wirkte sein Körper besser proportioniert. So eitel Silvestre bezüglich seines Körpers
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