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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Autoren: Tarek Siddiqui
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mir manchmal so vor, als sei das alles eine ausgefeilte Versuchung gewesen, maßgeschneidert auf meine Schwächen, die keine gewöhnlichen Schwächen sind. Ein kleiner Test vielleicht, den ich nicht bestand, aber derartige Gedanken sind auch nur wieder ein Symptom des Sich-selbst-zu-wichtig-nehmens. Was geschehen ist, geht auf mich selbst zurück, keine fremde Macht hat sich eingemischt. Nur ein paar Zufälle, die entbehrlich und beliebig waren, und ich.
    Manchmal holt die Vergangenheit mich ein wie eine alte Kriegsverletzung; ich denke zurü ck an ferne Menschen und frage mich, was aus ihnen geworden ist. Auch Siad, das weiß ich jetzt, hat sich einer Lüge schuldig gemacht: Nicht die Militärpolizei hat ihn in Untersuchungshaft genommen, eine kleine, brünette deutsche Auslandsstudentin war es, die ihn zum Bleiben veranlasste, und ihm schien, die Wahrheit sei für seine Familie schwerer zu verkraften als die inzwischen aufgeklärte Lüge. Ich kann ihm auch angesichts meiner eigenen Fehler so wenig böse sein, wie ich ihm verzeihen kann; das bleibt seinen Eltern überlassen.
    Anderes weiß ich nicht, und beabsichtige auch nicht, es herauszufinden: Aber ich stelle mir vor, dass Geli inzwischen einen Freund gefunden hat, natürlich bei den Severitern, andere Dienststelle vielleicht oder aber ein neuer Zivi. Anska wird das Geschehen in der Rückschau betrachten wie einen Flugunfall, es in kleine Teile zerlegen, bis der Begriff Schuld seine Bedeutung verliert: Eine unwahrscheinliche, unvorhergesehene Verkettung von Ereignissen, in der er selbst keine größere Rolle gespielt hat, als zwei andere Kettenglieder fest miteinander zu verbinden.
    Und Hanna? Selbst in meinen einsamsten Stunden kam mir nie ernsthaft in den Sinn, ihr nachzuforschen. Aus schlechtem Gewissen und vor allem, weil ich herauszufinden fü rchtete, sie könne vollständig transparent geworden sein. Vielleicht steht sie irgendwann einmal unvermittelt vor mir: in hellen Gewändern, allein in einem Zugabteil oder vielleicht auch in einem Park mit Wegen voller Herbstlaub, ein Kind an der Hand? Oliver Dommel ist fertig mit seinem Zivildienst, und nichts und niemand wird wohl verhindern, dass er in ein paar Jahren psychologische Gutachten schreiben wird. Aber wer weiß, vielleicht besteht Hoffnung. Wer behauptet, Menschen änderten sich nicht, dem fehlt es entweder an Überblick über das eigene Leben mit all seinen Entwicklungen, oder der nimmt für sich in Anspruch, eine Ausnahme zu sein. Manches bleibt, vieles braucht Zeit. Aber sich nicht zu verändern, das ist das Privileg der wahrhaft Weisen wie der wahrhaft Dummen.
    Ich habe meine Geschich te in der Ungewissheit des Kellers zu erzählen begonnen, doch dort endet sie nicht, sie endet in der Ungewissheit des Tageslichts. Es bleibt eine unterschwellige Angst, dass der Circulus Finalis als Idee weiter besteht, denn was vorstellbar ist, das ist auch in der Welt. Ein infektiöses Gebilde, das auf die richtige Gelegenheit, das Zusammenwirken verschiedener Faktoren wartet, um wieder Fuß zu fassen. Und trotzdem stelle ich mitunter mit einem gewissen Erschrecken eine Sehnsucht nach der Zeit von damals, sogar eine gewisse Sehnsucht nach dem Keller in mir fest. Vielleicht erscheint sie mir besser, als sie war, einfach weil sie mich in die Gegenwart geführt hat.

    In dieser Gegenwart gibt es wieder Pläne, ich möchte mein Studium beenden. Die Angst, etwas zu tun , weicht nur langsam; mit einem Fuß noch lebe ich im vergangenen Jahr, erinnere mich einzelner Tage, kleiner Ereignisse und Begebenheiten. Sie, die Gebieterin über die Gewürze und Aromen, kennt meine Geschichte nur in groben Zügen, die dunkelsten Passagen habe ich bisher belassen, wo sie sind, im Dunkel. Doch weiß sie alles, auf ihre Art. Ein Lächeln ist der Finsternis Herausforderung, und nicht die Abwesenheit von Traurigkeit ist das größte Glück.
    Neue Ä ngste, vor Verlust und Verlassenwerden, vor der unübersehbaren Vielzahl objektiver Gefahren, der wir uns jeden Tag aussetzen. Die Gewissheit, vielleicht einzige Gewissheit, nicht nur des Verstandes, sondern aus der Anschauung all dieser Krankheits- und Unglücksfälle: niemand, der für die Verhältnismäßigkeit der Mittel sorgt bei der Verteilung des Unglücks; niemand, der dafür sorgt, dass nicht passiert, was nicht passieren dürfte.
    Und doch, vielleicht ist gerade das Grund genug, Dinge zu probieren, etwas zu riskieren. Wenn wir fallen, dann ist niemand da, d er dieses Fallen in
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