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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Autoren: Tarek Siddiqui
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befürchtete einen neurologischen Schaden, aber das hat sich bisher nicht bestätigt. Es lag wohl einfach an der, helfen Sie mir, wie soll ich sagen – unsachgemäßen Durchführung. Wir möchten Sie aber gerne noch einige Tage hier behalten für einige weitere Untersuchungen…“
    Ich starrte sie an. Si e runzelte die Stirn. „Mit dem Sprechen geht es doch, oder?“
    Ich zwang mich. „ Ja, doch.“ Es klang krächzend, ähnlich meinen letzten Worten im Keller. Der Hals fühlte sich wund an, aber ich versuchte es erneut.
    „ Doch. Danke für alles, was sie für mich getan haben.“
    Sie lä chelte. „War ja nicht viel. Eines noch, da sind zwei Herren von der Polizei, die haben ihre Karte dagelassen. Ich soll sie anrufen, sobald es Ihnen besser geht. Aber aus ärztlicher Sicht wäre ein bisschen Ruhe noch ganz gut.“
    Alles, was kom men konnte, war harmlos im Vergleich zu dem, was hinter mir lag. „Schicken Sie sie ruhig her“, sagte ich. „Wäre mir lieb, das bald erledigt zu haben.“

    Zuerst dachte ich, es sollten im Krankenhaus Anomalien meines Verhaltens und meines Verhältnisses zur Welt untersucht werden, aber stattdessen konzentrierte man sich auf greifbarere Probleme, konkret auf eine mögliche Fehlfunktion des Atemzentrums, die in Folge meiner unfreiwilligen Medikation aufgetreten war. Meine Eltern besuchten mich, und ihre ganz auf die Beschützerrolle zurückgezogene Haltung machte es mir unmöglich, das Einzige zu tun, was mir weitergeholfen hätte: Ihnen zu erklären, dass ich durch eigene Schuld hierher gelangt war. Für sie jedoch war nur von Bedeutung, dass mir offensichtlich Unrecht geschehen war.
    Meine Schwester schickte Blumen; das zeichnete mich aus, denn kaum einer der anderen Patienten erhielt Aufmerksamkeiten dieser Art. Sie schrieb, dass ein Besuch der Kinder wegen nicht in Frage kä me; eigentlich war alles wie immer. Schade; zumindest sie hätte mir geglaubt, dass ich nicht unschuldig war an meiner Situation.
    Am dritten Tag kam Besuch in Gestalt zweier Kriminalbeamter, die mich in der durchlä ssigen Atmosphäre des Krankenzimmers halbherzig befragten, unterbrochen von gelegentlichem Lallen, später dann einem Tobsuchtsanfall meines Bettnachbarn. Ich beobachtete, wie unwohl die Beamten sich fühlten, sie, die an harte Realitäten gewöhnt waren. „Wir sprechen uns wieder, wenn es etwas besser geht“, sagten sie zum Abschied.
    Ich stellte m ich darauf ein, außerhalb der schützenden Mauern härter angefasst zu werden, aber dem war nicht so. Ich war das Opfer. Keine Vorgeschichte, keine Vorstrafen, wie man fast erleichtert feststellte; kein Motiv, irgendjemandem zu schaden. Meine Kollegen hatten zum spätestmöglichen Zeitpunkt von ihrem Tun abgelassen, mein Leben geschont und sich letztendlich gestellt. Ich ahnte, dass es wenig Sinn haben würde, mich selbst zu belasten, versuchte aber auf die mir eigene, der wörtlichen Antwort verhaftete, leicht trotzige Art deutlich zu machen, dass das Unheil von mir selbst ausgegangen sei: Ohne jeden Erfolg. Es hätte ihnen das gesamte Konzept, die gedachte Struktur von Schuld und Unschuld, aktivem Tun und Erlittenem zerstört. Die beiden Beamten offerierten mir nur mitleidig die Hilfe eines Polizeipsychologen, was ich verwirrt annahm. Ihm erklärte ich in einem freudlosen Büroraum, dass es sich bei meiner Selbstanklage nicht um eine Form der Identifikation mit den Entführern handeln könne, weil sich während der Zeit im Keller keinerlei persönliche Kontakte ergeben hätten. „Aber es waren doch Ihre Kollegen. Sie wussten das, fühlten sich mitschuldig. Das ist ein starkes Identifikationsmotiv.“

    Bald wurde mir klar, dass der Fall angesichts und trotz seiner Vielschichtigkeit eine klare Kategorisierung erforderte, vielleicht für die Staatsanwaltschaft, oder auch nur für die Kriminalstatistik. Entführung, das war griffig; daneben Körperverletzung, eventuell unterlassene Hilfeleistung. Damit waren die Rollen für Täter und Opfer eindeutig verteilt; wenn ich von meiner Verstrickung und der aktiven Legendenbildung berichtete und ihre ursächliche Bedeutung für das Geschehen betonte, dann winkten die Beamten nur ab: Das wissen wir bereits, ist ja nicht strafbar, war wohl keine so gute Idee, aber das sind viele Aprilscherze auch nicht. Ich dachte, sie sähen die Dimension meiner Lüge gar nicht; nur einmal sagte einer zu mir, ein kleinerer mit Goldbrille: „Sehen Sie, für uns sind Sie das Opfer und für Ihre Geschichte sicherlich
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