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Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Autoren: Tarek Siddiqui
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Schicksal bestimmen sollten. Zu lange hatte ich mich von dem unbestrittenen Umstand lähmen lassen, selbst und ohne Not Schuld auf mich geladen zu haben; jetzt war es zu spät. Der Kolben des Perfusors drehte sich, langsam und kontinuierlich, ich spürte ein schwaches Brennen in der Vene. War ich eben noch wütend gewesen? Anstelle der Wut jetzt nur noch eine durchdringende Müdigkeit. Worauf warteten sie? Warum musste das so langsam gehen?
    Noch einmal zwang ich mich dazu, auf etwas zu fokussieren. Meine Schuld. Schlager. Was wü rde er tun, wenn er an meiner Stelle wäre?
    Er wü rde ihnen seine Meinung kundtun, wie er es immer getan hatte.
    Ich wollte meinen Kopf heben, konnte mich aber nicht mehr rü hren. Auf der Stirn sammelte sich Schweiß. Ich öffnete den Mund und bewegte die Lippen, es fühlte sich fremd an, wie betäubt auch die Zunge. Ich wollte etwas sagen, konnte mich aber nicht mehr erinnern, was.
    Schlager. Eine verschwommene Erinnerung, aber das reichte nicht. Wie der eines Ertrinkenden ging mein Blick hinaus in den Raum. Im Halbdunkel ahnte ich ein flackerndes Augenpaar. Ich hielt mich daran fest. Wegmann.
    „Du hast ihn umgebracht.“ Die Stimme hörte sich an wie die eines anderen, brüchig und teilnahmslos. „Du hast Schlager umgebracht.“ Plötzlich war mir unverständlich, wie ich je hatte daran zweifeln können, dass er ihm den entscheidenden Schubs hin zur rechten Spur der Autobahn gegeben hatte.
    „ Ihr glaubt, das alles diene einem Zweck, aber es ist eine sinnlose Fantasie, ein Spiel, erfunden und erlogen, von euch selbst ausgeschmückt und erweitert. Wonach ihr da handelt und mordet und lebt, ist eine große Lüge…“
    Es wurde mir zu anstrengend: das Sprechen, nicht nur; einfach alles. Ich verlor Wegmanns Blick und fand ihn nicht wieder, ohne zu wissen, ob er ihn abgewandt hatte oder ob sich meine Lider inzwischen geschlossen hatten. Ich nahm eine Bewegung war, wie ei n Rascheln von Blättern im Wald; das war das Letzte.

42
    Als ich wieder zu mir kam, hatte sich die Umgebung geändert; es war schmerzhaft hell jetzt, das Licht von einer kalten weißen Farblosigkeit. Ich versuchte einen Arm zu bewegen, aber der war entweder nach wie vor festgeschnallt oder aber unendlich schwer. Unscharf sah ich eine Gestalt sich bewegen und versuchte zu sprechen; da wurde mir bewusst, dass ein Schlauch in meinem Hals steckte, der einen unangenehmen Druck auf die Luftröhre ausübte. Ein Tubus, durch den ich beatmet wurde, doch fühlte ich mich dem Ersticken nah. Ohne die Möglichkeit, zu sprechen oder zumindest zu gestikulieren, war es ein fürchterliches Gefühl der Ohnmacht, schlimmer, als ich es zuvor im Keller erlebt hatte. Ich riss die Augen auf und versuchte, die verschwommene Gestalt zu fixieren. Das ging eine unendlich lange Zeit so, aber vielleicht waren es doch nur Sekunden. Dann wurde wieder alles schwarz.

    Und wieder erwachte ich in einer anderen Umgebung. Hals und Rachen waren wund, ich fühlte mich zerschlagen. Mein Blick fiel auf Sicherheitsglas, von einem Drahtnetz durchzogen. Ich lag in der Nähe der Tür, die an dieser Seite nur einen Knauf hatte und vermutlich abgeschlossen war. Vorsichtig richtete ich mich auf.
    Vor dem Fenster Grü n, Frühlingsfarben, verwaschen blauer Himmel. Mit mir im Zimmer vier andere Patienten verschiedensten Alters, zwischen siebzehn und fünfundsechzig vielleicht. Ich konnte nicht alle Betten überblicken, aber was ich sah, war bedrückend – ausschließlich neurologisch beeinträchtige Patienten.
    Eine Ä rztin näherte sich hinter dem Glas und trat dann ein. Blond, Mitte Vierzig, freundlich, aber ein wenig müde aussehend, wie von zu viel Unabänderlichkeit gezeichnet. Ich beobachtete, wie es ihr mit wenigen Gesten gelang, so etwas wie ein persönliches Verhältnis zu mir aufzubauen. Davon abgesehen stand Neugier ihr ins Gesicht geschrieben.
    „ Hallo. Sie sind wach, das ist schön.“
    Ich nickte nur vage.
    „Sie werden vermutlich einige Fragen haben.“
    Ich nickte, sie wartete einen kurzen Moment auf eine verbale Bestä tigung, aber es war, als fehlten mir für alles die Worte.
    „ Gut. Sie sind bei uns hier in der Neurologie. Das muss Sie aber nicht beunruhigen. Sehen Sie, Sie waren in einer sehr tiefen Narkose. Nicht ganz fachgerecht, könnte man sagen.“ Sie sah mich fragend an.
    „ Aber darüber wissen Sie vermutlich mehr als ich. Sie sind hier, weil auch nach dem Aufwachen Ihre Spontanatmung nicht wieder einsetzen wollte. Man
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