Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Circulus Finalis - Der letzte Kreis

Titel: Circulus Finalis - Der letzte Kreis
Autoren: Tarek Siddiqui
Vom Netzwerk:
Enttäuschungen. Alles unversucht lassen. Keine Fehler, keine Verantwortung.

    Unvermittelt und zu jeder Tageszeit trieb es mich, wenn die Wände drückten, nach draußen. Einmal kletterte ich nach Mitternacht über den Zaun in den botanischen Garten und riss mir die Hose am Saum auf. Es war die gleiche Hose, die ich bei der Jagd im Karnevalstreiben getragen hatte, und mir schien, als sollte meine Flucht, die an diesem Tag begonnen hatte, kein Ende finden, auch wenn mir niemand mehr folgte.
    Ich wanderte durch Straß en, die wunderbar verwinkelt waren; durch Parks mit verlassenen Bänken, auf denen nur Stille und Feuchtigkeit ruhten. Vorbei an Prachtbauten und an den sorgsam vernachlässigten Fassaden vergilbter Wohnhäuser.
    So gelangte ich schließ lich ins Lila , ein wenig unter dem Straßenniveau gelegen, mit schmalen Fenstern an der Vorderseite, die etwas Tageslicht hereinlassen und an denen eine endlose Prozession von Schuhen, Strümpfen, Hosenbeinen und wohnungstauglichen Hunden vorbeizieht.
    Es ist dunkel gehalten, mit riesigen schwarzen Tafeln an den Wä nden, auf denen Tageskarte und Weine angeschrieben stehen; nur die Quadrate kleiner Tische aus dickem, polierten Birkenholz leuchten im konzentrischen Lichtkegel heller Lampen, und man sieht sofort, was hier das Wichtigste ist: das Essen.
    Als ich diesen Raum betrat, mich setzte an einem der kleinen Tische, die Tafel im Rü cken; als ich mein schwarzes Notizbuch aufschlug und mich zurücklehnte, da wusste ich, hier würde ich schreiben können. Vielleicht war es das angedeutet Unterirdische, das mir Schutz bot und eine Verbindung schuf zu meiner Zeit im Keller. So viele Erinnerungen werden blass und gestaltlos im Rückblick, nur jene des vergangenen Jahres nicht: Und so schrieb ich, in der Hoffnung, dass das, was ich nicht vergessen kann, zwischen zwei Buchdeckeln einen Platz finden und dort ruhen könnte, solange ich es nicht aus dem Regal nähme.

    Aber mehr als das: Bald wurde ich, der ich mich sonst so anspruchslos ernährte, süchtig nach diesem Ort, nach dem wechselnden Angebot der Speisen, von denen jede Einzelne eine Offenbarung war für Sinne, denen ich bisher wenig Beachtung geschenkt hatte. Die Küche lag im hinteren Teil des Raumes und war mit einer von Fenstern durchsetzten Trennwand so abgeteilt, dass man Einblick in das Geschehen dort erhalten konnte. Schlanke Hände mit langen Fingern vollführten hinter Glas Figuren, deren Beobachtung mich hypnotisierte und mir vollkommene Entspannung gewährte.
    Wä hrend ich von Marie schrieb und den ersten Teil meiner Geschichte in den tragbaren Computer eingab, den ich vom Vorschuss des Verlages angeschafft hatte, sah ich die Köchin und Inhaberin zum ersten Mal ganz; ernst und mit leicht gerunzelter Stirn überblickte sie den Raum, so als gäbe es keine wichtigere Aufgabe als die des Kochens. Sie war blond, mit schulterlangen, schwer zu bändigenden Haaren; überraschend jung oder wirkte doch jünger, als sie war, dabei voll konzentriert, eine würdige Gebieterin über Geschmäcker und Aromen. Schön war sie auch, wunderschön; nicht von der Art der retuschierten, konservierten, lebensfernen Illustriertenschönheiten, die an Plastikblumen denken lassen, aber wenn Schönheit etwas mit Gleichmaß und Symmetrie zu tun hat, dann war es bei ihr das Gleichmaß zwischen Tun und Sein, zwischen Ernst und Freude, Schlichtheit und Raffinesse; von Wollen und Können, Denken und Sprechen, das ihrer Schönheit Tiefe verlieh.
    Als ich dabei war, von der einsa men Silvesternacht zu schreiben, die inzwischen ein knappes Jahr zurücklag, setzte sie sich zum ersten Mal zu mir, und wir sprachen und schwiegen und sprachen, bis der trübe Morgen nahte und die Schuhe und Beine vor den Fenstern wieder zahlreicher wurden. Als Fellenbeck starb, berührten sich unsere Hände zum ersten Mal, und während ich vor Borsberger floh, gab sie mir einen ersten, nach Jasmin schmeckenden Kuss.

    Und hier sitze ich auch jetzt, warte auf sie, und tue mir schwer, zu einem Ende zu kommen, während ich tippe, was die letzten Zeilen des Manuskriptes sein sollten. Die Welt ist verworren und inkonsequent, sie belohnt bei dem einen, was sie bei einem anderen bestraft. Hier sitze ich, an meinem kleinen Tisch, bin ernüchtert, da das Geschehen so wenig folgerichtig und gerecht zu sein scheint, und gleichzeitig wie verzaubert, dass es so ist und mir dieses Glück zuteilwird. Sicher ist nur eines: Dass ich es kaum verdient habe, hier zu sein.
    Es kommt
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher