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Ciara

Ciara

Titel: Ciara
Autoren: Nicole Rensmann
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weist eine schwache hellbraune Verfärbung auf.« Vorsichtig fühlte Mike darüber.
    Hastig wirbelte Ciara herum und vergaß vor Schreck, ihre Blöße mit dem Bademantel zu bedecken. Mike fasste sie am Arm, streichelte ihr zärtlich über die nackte Haut und zog ihr den Mantel über.
    »Ich habe Paul gesehen.« Sie schluckte hart. »Ich habe Paul gesehen, als du über den Runden gestrichen hast. Du hast doch den großen Runden berührt?«
    Mike nickte.
    »Dann mach es noch mal, tippe diesmal auf den anderen.« Noch verstand Mike nicht, worauf Ciara hinauswollte, aber er fuhr nun über das kleine, leicht erhabene Muttermal.
    »Oh, Götter!«, stöhnte Ciara. »Es sind die Toten«, wisperte sie entsetzt. »Ihre Seelen, ihr Wissen, ihre gesamte ehemalige Existenz sind die Male auf meiner Haut.« Sie setzte sich auf die Toilette. »Oh, Götter!«
    »Was hast du gesehen?«
    »Den Mann, der aus dem Helikopter gestürzt ist.«
    »Aber es waren zwei Männer.«
    »Ja, aber nur der Zweite starb.«
    Mike schloss die Augen und fragte: »Welches Muttermal ist nach dem Tod meiner Mutter neu entstanden?«
    Ciara schaute ihn nachdenklich an, erhob sich zaghaft, öffnete den Bademantel, sodass er die untere Wölbung ihrer linken Brust und das dortige kleine, helle und glatte Muttermal erkennen konnte.
    »Warum vorne und die anderen auf deinem Rücken?«
    Langsam schüttelte Ciara den Kopf. »Ich weiß es nicht.«
     
    Mike verließ den Raum, um Ciara Gelegenheit zu geben, sich anzuziehen. Während er im Foyer auf sie wartete, betrachtete er ihr Porträt, dessen Gesichtsausdruck auf ihn unendlich traurig wirkte. Das Haar schimmerte etwas dunkler als gewöhnlich.
    »Lass uns gehen.« Ciara trug einen schwarzen, eng anliegenden Anzug, ihr feuchtes Haar bedeckte teils ihr Dekolleté, teils lag es auf ihrem Rücken. Sie glich ihrem Gegenstück auf dem Gemälde exakt.
    Mike wollte sie darauf ansprechen, doch die Zeit eilte. Quietschend huschte das Frettchen auf sie zu und kletterte an ihm empor. Er nahm es in die Hand und übergab es Ciara. »Ich glaube, es gehört zu dir. Du solltest es entsprechend akzeptieren.«
    Sie streichelte das Frettchen. »Du hast recht. Ich lebe mein Leben nach dem Glauben der Alten. Aber ich war anscheinend völlig vernagelt.« Zärtlich streichelte sie ihr persönliches Krafttier, das sie als Hexe gefunden und ihr zur Seite stehen wollte, und setzte es auf ihre Schulter, stupste es zwischen den Augen an und raunte: »Willkommen!«
     
    Die Beerdigung fand, so wie Mike es geplant hatte, in kleinem Kreis und ohne Feier statt.
    Ciara blieb an seiner Seite. Erst als er mit den Heimbewohnern einige wenige letzte Worte austauschte, entfernte sie sich von der kleinen Gruppe und steuerte auf einen Teil des Friedhofs zu, den Christen mieden und heidnische Glaubensanhänger verehrten.
    Sie setzte sich auf einen Stein, der den Megalith eines Cromlech – eines irischen Steinkreises – darstellte, und bestaunte ein Schneeglöckchen, das mutig aus der Erde hervorbrach.
    Als sie Mikes Anwesenheit fühlte, sagte sie, ohne aufzusehen: »Hier lag meine Mom. Ihre Asche, begraben in der Kälte und der Anonymität der unheiligen Erde, die ihrer nicht würdig war. Ich habe sie ausgegraben. Sie steht nun bei uns – zu Hause, in ihrem Medizinschränkchen.« Ciara lachte gequält und sprach mit tiefer, trauriger Stimme weiter: »Seitdem kehre ich hierher zurück, weil ich weiß, dass ein Teil ihrer Seele hier verweilt, die kahlen Äste der Bäume mit Leben und die Büsche mit Blüten schmückt.«
    Mike setzte sich neben Ciara und ergriff eine ihrer Hände.
    »Klinge ich verrückt?«
    »Nein,« versicherte Mike, »nicht verrückter als das, was ich in den letzten Tagen selbst erlebt habe.«
    »Wie hast du mich hier gefunden?« Ciara schaute Mike an und beantwortete sich die Frage selbst: »Das Frettchen.« Er nickte und betrachtete ebenso wie zuvor Ciara die erste Blume des Jahres, die schon bald von der kalten Faust der Eisheiligen zerquetscht werden würde.
     
    Vor nicht allzu langer Zeit hatte das Frettchen viele Tage genau auf dem Stein geschlafen, wo die beiden Menschen nun saßen: der Mann, der viel wichtiger war, als Ciara es bisher erahnte, und Ciara selbst, die das Frettchen besser kannte, als sie glaubte.
    Das Frettchen war der zufällige Verursacher des Unfalls gewesen und hatte die Seele von Ciaras Mutter in sich aufgenommen – so wie viele Tiere dazu in der Lage waren, ohne es zu wissen. Erst in der Nacht des siebten
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