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Chucks Welt

Chucks Welt

Titel: Chucks Welt
Autoren: Aaron Karo
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Zwang ausgelöst hat, kommt hier zusammen und ich habe keine Ahnung, wie lange ich das noch verkrafte.
    Kaum bin ich am Zelt, überwältigen mich die unzähligen Reize, hauen mich um. Ich spüre den Matsch, den Schweiß, die Mückenstiche auf der Haut. Ich rieche brennende Holzscheite, nasses Gras und dazu das Müffeln der Greulich-Garage. Ich höre tief im Walddie Grillen zirpen, während die Sonne untergeht. Ich schmecke Dreck auf den Lippen. Ich fühle, wie mein Auge zuschwillt.
    Hastig lasse ich mich auf die Plane fallen und greife nach meiner Tasche im Zelt. Schnappe mir das Reisesagrotan. Spritze mir den gesamten Inhalt auf die Hände und reibe sie wie verrückt. Aber das verteilt den Schmutz nur. Ich versuche, etwas davon auf meinem Gesicht zu verreiben. Autsch! Es brennt an der Stelle, wo mich Parkers Faust getroffen hat.
    Alle andern vergnügen sich prächtig.
    Ich aber kriege eine Panikattacke.

I ch verkrieche mich in mein Zelt und stopfe mir Zeug aus dem Rucksack in die Taschen für den Fall, dass ich auf die Schnelle abhauen und den Campingkram zurücklassen muss. Ich kann nicht mehr klar denken. Dreck sitzt unter meinen Fingernägeln, ich kriege ihn nicht raus. Auch innen ist das Zelt jetzt voll Schlamm, ich habe keinen Rückzugsort mehr. Ich will hier nicht mehr sein.
    Ich krabbele nach draußen, um nachzusehen, ob ich nicht doch noch ein letztes bisschen Desinfektionsmittel aus dem weggeworfenen Behälter quetschen kann. Und da sehe ich sie im schwindenden Licht: Amy.
    Sie steht neben Stacey und Wendy. Ich bin zu weit weg, um zu hören, was die drei reden, aber ich sehe, dass Amy Flipflops, Shorts und ein Trägerhemd anhat. Ist schon lange her, seit ich Amy zuletzt richtig angeschaut habe. Ich vermisse sie.
    Keine Ahnung, wie lange sie schon auf dem Zeltplatz ist und ob sie gesehen hat, wie ich den Schlag eingesteckt habe   – jedenfalls bete ich, dass sie dabei war. Ich fühle mich verseucht. Nonstop kratze ich mir Arme und Beine. Und dabei wird mir klar, dass mich Amy in übelstem Zustand zu Gesicht kriegen wird   – versifft und vollkommen durchgeknallt. Das schiere Gegenteil von allem, was ichihr zeigen wollte und wozu ich hergekommen bin. Sie darf mich so nicht sehen. Als einen Irren. Aber das ist nur eine Frage der Zeit.
    Ich haste hinters Zelt, zum andern Ende der Plane, um aus ihrem Blickfeld zu kommen. Mit angezogenen Knien sitze ich da. Ich kann nicht verschwinden, ohne zu riskieren, dass Amy mich sieht, aber hierbleiben kann ich auch nicht. Ich schaukle vor und zurück wie ein Geisteskranker. Ich bilde mir ein, Schritte zu hören, die in meine Richtung kommen. Vielleicht Amy, vielleicht auch nicht. Es gibt nur einen Fluchtweg.
    Ich renne los in den Wald. Nach nicht mal zehn Metern weiß ich schon nicht mehr richtig, was in welcher Richtung liegt. Äste und Gestrüpp zerkratzen mich. Beim Laufen höre ich meinen eigenen Atem. Ich stolpere über einen Stamm und rolle über den Waldboden, rapple mich wieder hoch und renne weiter. Bald höre ich keine Geräusche vom Zeltplatz mehr und auch der Schein des Lagerfeuers ist verschwunden. Ich habe nicht die geringste Vorstellung, wie ich zurückfinden soll.
    Ich laufe immer weiter, will nur weg von allem. Um ein Haar knalle ich mit dem Kopf gegen einen Baum, trotzdem werde ich nicht langsamer. Ich renne durch eine Pfütze, das Wasser spritzt mir ins Gesicht. Ich laufe weiter. Ich renne weg vor all dem, was ich nicht hinkriege: normal sein, rumhängen, Spaß haben. Ich renne weg vor all dem, was ich nicht sein kann   – ein Freund, ein Gesunder, ein menschliches Wesen. Ich renne und renne und renne.
    Ich habe mich verlaufen. Ich bin außer Atem. Es wird dunkel.
    Mitten im Wald lasse ich mich fallen und habe einen Zusammenbruch. Ich rolle mich im Schlamm, im Dreck, in der Scheiße. Ich grabsche Laub zusammen und drücke es mir ins Haar. Ich verreibe den Schmutz von den Händen in meinem Gesicht. Was ich im Leben am meisten verabscheue, überrollt mich. Einen Moment lang fühle ich mich eigenartig leer   – vielleicht wäre »geläutert« das richtige Wort. Ich bin meine Zwänge los. Alles, was mich panisch macht,ist mir auf den Leib gerückt. Nichts kann meine Angst mehr kleiner machen, also lasse ich sie einfach kommen. Ich bin frei.
    Und bin es dann doch nicht. Ich kann mich kaum noch bewegen. Mühsam komme ich auf Hände und Knie. Ich weine. Dicke, salzige Tränen. Tränen und Rotz laufen mir übers verdreckte Gesicht und vermischen sich
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