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Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos

Titel: Chroniken der Weltensucher – Das Gesetz des Chronos
Autoren: Thomas Thiemeyer
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gemeint«, sagte Humboldt geknickt. »Wobei ich zugeben muss, dass ich keinerlei Erfahrung mit Amnesie habe.«
    Â»Es ist auch ein sehr spezieller Fall«, sagte Weißhaupt. »Normalerweise umfasst die Spanne, in der Erinnerungen verloren gehen, einen Zeitraum von einer Woche bis einem Monat. Ich habe noch nie erlebt, dass neun Jahre einfach verschwinden.«
    Â»Haben Sie denn keine Möglichkeit, die Erinnerungen irgendwie zurückzuholen? Ich denke hier an lange Gespräche, Begegnungen mit anderen Menschen, Geräusche, Gerüche oder visuelle Eindrücke?«
    Weißhaupt wiegte den Kopf. »Nicht sehr erfolgversprechend. Die Erinnerung wurde durch einen Schock ausgelöscht und nur ein Schock kann sie wiederbringen.«
    Â»Sie meinen, ich soll sie erschrecken?«
    Â»Hm, nein.« Der Professor zögerte. »Ich dachte da an eine etwas radikalere Methode.«
    Â»Reden Sie.«
    Weißhaupt legte die Fingerspitzen aufeinander. »Obwohl die Hirnforschung noch in ihren Anfängen steckt, haben wir in den letzten Jahrzehnten enorme Fortschritte gemacht. Einige ungewöhnliche Methoden haben uns geholfen, diesen komplizierten Apparat, den wir Gedächtnis nennen, besser zu verstehen. Ein Zusammenhang ist dabei sehr deutlich geworden: Das Gehirn reagiert auf elektrische Reize.« Er bedachte den Forscher mit einem vielsagenden Blick. »Die Informationen werden mittels elektrochemischer Reize verarbeitet und weitergeleitet. Bei einem Gedächtnisverlust sind diese Leitungen verstopft. Die Informationen sind zwar noch da, können aber nicht mehr abgerufen werden. Da hilft manchmal nur ein kräftiges Durchpusten.«
    Â»Durchpusten?«
    Â»Elektroschocktherapie, werter Kollege. Elektroschocktherapie. Wir haben gute Erfolge damit erzielt, auch wenn das Ergebnis nicht immer und nicht zu einhundert Prozent zufriedenstellend war. Manche haben ihr volles Gedächtnis wiedererlangt, manche nur einen Teil und manche leider gar nicht. Aber es ist immerhin eine Chance. Sollten Sie sich entschließen, Frau Molina in dieses Programm zu nehmen, so muss ich Sie allerdings darauf hinweisen, dass die Prozedur recht unangenehm sein kann. Sie kann zu schweren Krämpfen führen und darüber hinaus zu …«
    Â»Nein.« Humboldt schüttelte energisch den Kopf. »Das möchte ich nicht.« Er umklammerte seinen Stock, als wäre er mit ihm verwachsen. »Auf keinen Fall werde ich Eliza einer solchen Behandlung unterziehen.«
    Â»Sind Sie sicher? Wie schon erwähnt, die Erfolge können sich durchaus …«
    Â»Nein, niemals.«
    Â»Darf ich fragen, warum?«
    Humboldt blickte nachdenklich zu Boden. Alle sahen ihn an. Nach einer Weile fing er an zu sprechen. »Zwei Gründe. Erstens will ich Eliza diese Qualen ersparen. Ich weiß, wie Elektroschocks sich anfühlen. Es ist eine Form des Schmerzes, wie ich sie meinem schlimmsten Feind nicht wünsche. Zum Zweiten bin ich mir ziemlich sicher, dass die Behandlung bei ihr keinen Erfolg haben würde.«
    Â»Das kann man immer erst sagen, wenn man es versucht hat.«
    Â»Mag sein. Aber mein Gefühl sagt mir, dass es falsch wäre. Es würde zu weit führen, ihnen das näher zu erklären, aber es ist eine Tatsache, dass Eliza mich darauf vorbereitet hat, dass sie diesen Gedächtnisverlust erleiden würde. Sie wusste es. Und sie hat mir genaue Anweisungen gegeben, wie ich danach zu verfahren habe.«
    Â»Wie das?«
    Â»Wie gesagt, es würde zu weit führen, Ihnen das zu erklären. Eliza war mit einer Begabung gesegnet, die Sie und ich nicht verstehen und die nicht in unser aufgeklärtes, naturwissenschaftliches Weltbild passt. Sie konnte Dinge sehen, die weit entfernt oder sogar in der Zukunft lagen, und sie wusste, dass dieser Tag kommen würde. Sie hat es schriftlich niedergelegt. Es ist meine Pflicht und meine Bürde, ihrem Wunsch zu entsprechen und sie in ihre Heimat nach Haiti zu bringen. Es ist – wenn ich diesen Ausdruck gebrauchen darf – ihr Testament. Deswegen fühle ich mich daran gebunden und werde dem entsprechen. So schwer mir das auch fällt. Haben Sie Dank, Herr Professor. Es war eine große Ehre für uns, dass Sie sich persönlich um Eliza gekümmert haben. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Und jetzt werden wir Sie verlassen. Kinder, packt bitte Elizas Sachen, dann wollen wir aufbrechen.«

50
    Zwei Wochen
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