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Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser

Titel: Chroniken der Weltensucher 01 - Die Stadt der Regenfresser
Autoren: Thomas Thiemeyer
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weckte die Lebensgeister und beruhigte seinen Kopf.
    Gierig schlürfte er die Tasse leer. Als er fertig war, waren die Schmerzen bis auf ein winziges Druckgefühl verschwunden.
    »Gut gemacht«, sagte sie und stellte die Tasse wieder weg. »Geht es jetzt besser?«
    Er nickte nochmals.
    »Mein Name ist Eliza«, sagte die Frau. »Darf ich?«
    Sie deutete auf seine Fesseln. Ehe Oskar antworten konnte, löste sie seine Armschlingen und dann seine Kopf- und Fußfesseln. Sie arbeitete schnell und geschickt und im Nu war er wieder frei. Er spürte, wie das Blut in seine Hände schoss, und massierte seine Gelenke.
    »Wie heißt du?«
    Oskar schwieg. Seine Augen suchten nach einem Fluchtweg.
    »Ja, ich weiß, was du denkst.« Sie deutete auf die Bänder. »Ich muss mich für diese Behandlung entschuldigen. Sie diente nur zu deiner eigenen Sicherheit.« Sie lächelte entschuldigend. »Mein Herr ist manchmal ein wenig ungeschickt. Ich habe ihm die Menge genau vorgeschrieben, aber er musste ja gleich das Doppelte nehmen. Sei beruhigt, der Kopfschmerz dürfte gleich vorbei sein.«
    »Wo bin ich hier?« Oskar stand langsam auf. Seine Beine fühlten sich noch etwas zittrig an, aber immerhin trugen sie ihn schon wieder.
    »Im Haus meines Herrn«, lautete die Antwort. »Möchtest du ihn sehen?«
    »Wen?«
    »Deinen Gastgeber.«
    Oskar ging ein paar Schritte. »Ich weiß nicht …«
    »Er würde sich freuen, dich zu sehen.« Sie warf ihm einen aufmunternden Blick zu. »Ich weiß, dass dir das alles sehr seltsam vorkommen muss, aber du brauchst dich nicht zu fürchten. Folge mir einfach.«
    Das Haus war von beeindruckender Größe. Schon allein der Speisesaal war Ehrfurcht gebietend. An der Decke hing ein Kristallleuchter, der das hereinflutende Tageslicht einfing und es in tausendfaches Funkeln zerlegte. Inmitten einer Reihe sehr komfortabel aussehender Stühle stand ein Tisch, an dem bequem dreißig Leute Platz finden konnten. Wertvolle geschnitzte Vitrinen und Abstelltische zeugten vom erlesenen Geschmack des Hausherrn. Eliza legte ein zügiges Tempo vor, sodass Oskar kaum Zeit fand, die ganze Pracht zu bewundern. Schon waren sie im nächsten Raum, offenbar ein Studierzimmer. An den Wänden standen Regale, die bis unter die Decke mit Büchern gefüllt waren. Oskar trat näher und entdeckte verschiedene Zyklen aufwendig in Leder gebundener Werke. Lexika oder etwas Ähnliches. Daneben standen Bücher, bei denen es sich offenkundig um Kartenwerke und Reisebeschreibungen handelte. Bücher, auf deren Einband Windrosen, Wappen und Kontinente geprägt waren. Daneben Aberdutzende Karten aller Größen und Formen. Große, kleine, gerollte und hängende, Weltkarten, Landkarten, geologische Karten und Seekarten.
    Er begann sich an den Gedanken zu gewöhnen, dass der Mann vielleicht doch nicht der wahnsinnige Irre war, für den er ihn gehalten hatte. Offenbar verfügte er über Bildung und ein beträchtliches Vermögen. Einen Schatz wie diesen hatte Oskar jedenfalls noch nirgends gesehen, nicht mal in der Stadtbibliothek.
    Oskar hatte eine Schwäche für spannende Erzählungen. Ritterromane, Piratengeschichten, Abenteuer in fremden Ländern. Mit Karl May hatte er sich durch das wilde Kurdistan geträumt und mit Jules Verne 20 000 Meilen unter die Meeresoberfläche. So konnte er seinem Dasein als kleiner Gauner auf den Berliner Straßen für eine Weile entfliehen. Viele Abenteuerromane erschienen in Fortsetzungen in der Berliner Illustrierten Zeitung, die Oskar bei Hannah im »Alten Zollhaus« lesen konnte. Manchmal investierte er einen Teil seiner Beute in Bücher, die er zu Hause in seiner Bude lagerte. Einige hatte er natürlich auch gestohlen, aber die meisten ehrbar erworben. Bücher waren etwas, wovor er Respekt hatte, und hier gab es mehr davon, als er je in seinem Leben auf einem Haufen gesehen hatte. Auch wenn es sich um Sachliteratur handelte, so waren es doch immer noch Bücher. Was war das nur für ein Mann, der Straßenjungen entführte und so viele Bücher besaß?
    Dominiert wurde der Raum von einem gewaltigen, in einem hölzernen Rahmen befindlichen Globus – einer Weltkugel von solch Ehrfurcht gebietenden Proportionen, dass ihr Gewicht gar nicht abzuschätzen war. Gerne hätte Oskar sie in Drehung versetzt, aber die Haushälterin war schon weitergegangen und wartete in der Eingangshalle auf ihn.
    Dieser Raum war von allen der beeindruckendste. Spätestens jetzt war Oskar überzeugt, in das Haus irgendeiner hochgestellten
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