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Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis

Titel: Christopher Ross, Clarissa – Im Herzen die Wildnis
Autoren: Christopher Ross
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erwähnte.
    Jeder in Williams Lake schätzte Clarissa wegen ihres Lächelns und ihres freundlichen Auftretens, und niemand außer dem Ladenbesitzer und seiner Frau, mit denen sie etwas näher befreundet war, sah die Traurigkeit in ihren Augen, die sie in der Öffentlichkeit so gut zu verbergen wusste. Ihre Sehnsucht nach Alex wuchs ständig, und jeder Tag, der verging, ließ sie noch trotziger und entschlossener in die Zukunft blicken. Spätestens im Winter, wenn sie die Ranch verließ, würde sie nach ihm suchen. Dazu war sie inzwischen fest entschlossen, obwohl sie nicht die geringste Ahnung hatte, wo er sein könnte. Sie würde ihren Schecken nach Süden lenken und das ganze Land nach ihm absuchen und sich erst zufrieden geben, wenn sie seine Leiche gefunden oder von ihm selbst erfahren hatte, dass er nichts mehr von ihr wissen wollte. Beides schrecklich, aber immer noch tröstlicher, als in dieser Ungewissheit weiterzuleben. Der Gedanke, ein ähnliches Schicksal wie Jimmy Flagler zu erleiden, der sich ein Leben lang nach seiner Carmen verzehrt hatte, ohne zu ahnen, dass sie wieder in San Antonio lebte und sich wohl ebenso sehr nach ihm sehnte, war ihr unerträglich.
    Als ein kleiner Zirkus in Williams Lake gastierte, beging sie sogar die Dummheit, sich der Wahrsagerin Olga Alexejewna Petrova anzuvertrauen, angeblich die Tochter eines russischen Zaren und mit hellseherischen Fähigkeiten ausgestattet. Einen halben Dollar opferte sie für deren Dienste. Die Wahrsagerin, tatsächlich eine Russin, aber nur mit einem sibirischen Pelztierjäger verwandt und in ein wallendes Gewand mit silbernen Sternen auf blauer Seide gehüllt, führte sie in ein kleines Zelt und bat sie, auf dem ausgerollten Teppich Platz zu nehmen. Sie blickte im düsteren Licht einer Öllampe und im farbigen Rauch aus einer Schale mit irgendwelchen Kräutern und Farbstoffen in eine Glaskugel, ließ sie mehrmals kreisen und beschwor sie mit einem russischen Wortschwall. Mit starkem Akzent, aber in fließendem Amerikanisch, sagte sie: »Ich sehe einen Mann in deinem Leben. Er folgt dir in einen heftigen Schneesturm und ruft deinen Namen. Ein großer Mann, ein kräftiger Mann, aber ich kann sein Gesicht nicht sehen. Der Schnee fällt zu dicht.«
    Sie schüttelte den Kopf und hielt die Glaskugel mit beiden Händen. Sie war mit strahlenden Farben gefüllt, die als zähe Masse durch den Kern flossen, wenn sie die Kugel bewegte, und im flackernden Schein der Lampe geheimnisvoll leuchteten. Sie wiederholte ihre Beschwörungsformel und blickte angestrengt in die fließenden Farben, schüttelte verärgert den Kopf und ließ die Hände mit der Kugel sinken. »Mehr kann ich leider nicht sehen. Der Mann trägt eine Kapuze, die fast sein ganzes Gesicht verdeckt. Ich sehe nur sein energisches Kinn.« Ihr knallroter Mund verzog sich einem hoffnungsvollen Lächeln. »Aaah, jetzt kann ich ihn besser sehen. Ein entschlossener Mann, sehr willensstark und begierig darauf, deinen Körper kennenzulernen.« Ihr Lächeln wurde noch breiter. »Aaah, das ist eine gute Nachricht. Das ist sogar eine sehr gute Nachricht. Ich wünsche dir viel Glück mit ihm, meine Liebe!«
    Clarissa verließ das Zelt und blieb enttäuscht in der lauen Sommerluft stehen. Die Worte der Wahrsagerin waren den halben Dollar nicht wert, den sie dafür ausgegeben hatte. Vermutlich erzählte sie jeder jungen Frau etwas Ähnliches, und der Hokuspokus mit der Glaskugel und dem duftenden Rauch diente lediglich dazu, den banalen Worten einen gewissen magischen Glanz zu verleihen. Wollte nicht jede unverheiratete Frau diese Worte hören? Und stellte sich nicht jede ihren Prinzen kräftig, willensstark und begierig vor? Leider traf die Weissagung nicht nur auf Alex, sondern auch auf Frank Whittler zu. Auch er vereinte diese Eigenschaften, und wie begierig er war, hatte sie in Vancouver selbst festgestellt. Am liebsten wäre sie in das Zelt zurückgerannt und hätte die Wahrsagerin geschüttelt und gerufen: Wen siehst du denn nun in deiner Kugel? Alex oder Frank Whittler? Sag es mir, du verdammte Betrügerin! Doch sie beherrschte sich natürlich, sie hatte doch schon vorher gewusst, dass sie von der Russin keine ehrliche Antwort bekommen würde. Niemand konnte in die Zukunft blicken, außer vielleicht Hört-den-Donner, und der hatte ihr längst seine Antwort gegeben. Am Ende eines langen und steinigen Weges würde sie ihn finden, den Mann, nach dem sie sich sehnte. Aber wie lange dauerte das noch? Warum
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