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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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KAPITEL 79
    »Bin gleich wieder da«, sagte Kasdan.
    Er ging zu seinem Volvo in dem asphaltierten Gässchen. Öffnete den Kofferraum. Nahm die Tasche an sich, die sein Waffenarsenal enthielt. Vor Ort hätte er genügend Zeit, um alle Waffen zusammenzubauen und auszuprobieren. Seine Hände zitterten. Ihm war schwindlig. Die Erschöpfung. Der Hunger. Aber auch die Anspannung. Dieser Einsatz erinnerte ihn an seine Zeit beim Dezernat zur Bekämpfung des organisierten Verbrechens.
    Kasdan kehrte zu Rochas’ Geländewagen zurück. Er fragte sich, wie sie mit einem solchen Fahrzeug unbemerkt auf das Gelände der Kolonie gelangen sollten. Ein Monstrum, dessen Motorgeräusche man auf eine Entfernung von einem Kilometer hörte. Auch hätte er gerne gewusst, woher die Hippies das Geld für eine solche Ausrüstung nahmen. Aber er stellte keine Frage. An diesem Morgen war er ein Gast, der lediglich geduldet wurde.
    Der Tag brach an. Er fühlte sich wie nach einer durchzechten Nacht. Die ersten Sonnenstrahlen riefen ihm Muskelkater, Kopfschmerzen, schwere Glieder ins Bewusstsein.
    In der Nähe des Fahrzeugs zog Rochas an einer Zigarette. Er glich einem alten Seebären.
    »Was Sie brauchen«, sagte er, »ist ein kleines Entebbe. Exklusiv für Sie.«
    »Genau.«
    »Wir werden Ihnen zeigen, dass wir es mit diesen jüdischen Mistkerlen aufnehmen können!«
    Kasdan fuhr zusammen, als er diese abfällige, antisemitische Bemerkung hörte. Rochas schmunzelte. Und der Charme seines Lächelns machte die Entgleisung vergessen.
    »War nur ein Witz«, sagte er, seine Kippe wegschnippend. »Wir leben hier wie die Wilden und hegen noch immer die schlimmsten Vorurteile. Wir kämpfen dagegen an, aber es ist nicht leicht. Im Übrigen schmälert das unsere Schlagkraft in keiner Weise. Steigen Sie ein.«
    Rochas öffnete ihm die Tür. Kasdan stieg in den Wagen, die Tasche auf dem Schoß. Er spürte etwas Eiskaltes hinter der Fassade des alten Mannes. Eine Kälte, wie man sie gelegentlich bei Umweltschützern antrifft, die vorgeben, die Erde zu lieben, dafür aber die Menschen verabscheuen.
    Der Bürgermeister fuhr los. Ließ das Dorf hinter sich. Die Steppe erstreckte sich im Tageslicht wie ein Meer, ohne das geringste Hindernis, ohne Gebäude, ohne die geringste Spur von menschlichem Leben beziehungsweise Leben überhaupt. Wie sollte in einer solchen Landschaft ein Überraschungsangriff gelingen?
    Kasdan warf einen Blick in den Außenspiegel und sah zwei Geländewagen, die ihnen auf dem Weg folgten. Eine dahinbrausende, Staub aufwirbelnde Kolonne.
    »Es gibt einen Zugang«, sagte Rochas, der seine Gedanken erraten zu haben schien.
    »Einen Zugang?«
    »Die Kolonie ist sehr weitläufig. Sie können das Gelände nicht ständig überwachen. Wir kennen einen Schwachpunkt. Eine Schlucht im Kalkstein, durch die wir unbemerkt hineingelangen können. Wir kommen ganz dicht am Sicherheitszaun heraus, auf einem Felsvorsprung, ohne dass sie uns vorher entdecken können. Das wird unsere Schlacht bei den Thermopylen sein. Mit dem einen Unterschied, dass die Schlucht uns nicht helfen wird, Widerstand zu leisten, sondern, im Gegenteil, ins feindliche Lager einzudringen.«
    Kasdan warf Rochas einen Blick zu:
    »Waren Sie vor der Kolonie hier?«
    »Wir haben mit angesehen, wie sie sich hier angesiedelt und ausgebreitet haben. Wie ein Krebsgeschwulst. Heute beobachten wir die Entstehung von Metastasen.«
    »Was meinen Sie mit ›Metastasen‹?«
    »Das Krankenhaus. Die Schulen. Die Konzerte. All diese Lügen, die das Misstrauen der Bewohner der Region zerstreuen und das Böse verschleiern sollen.«
    Kasdan dachte an die gefolterten Kinder. An unvorstellbare Experimente. Er dachte an Volokine, der diesen Albtraum durchlebt hatte. Der sich ihm förmlich körperlich eingebrannt hatte. Den er später verdrängt und der ihn in die Drogensucht getrieben hatte. Befand er sich bereits in den Händen seiner Henker?
    Die Holpergeräusche des Fahrzeugs und das Dröhnen des Motors schienen einander in einem straffen Dialog zu antworten. Die Fahrzeuge folgten keiner Piste mehr, sondern fuhren querfeldein durch die Ebene. Die Weiträumigkeit des Gebiets verblüffte Kasdan. Ein erneuter Blick in den Rückspiegel. Zwei weitere Fahrzeuge hatten sich der Kolonne angeschlossen. Der Sturmangriff war im Gang.
    Sie waren nun seit zehn Minuten unterwegs. Wie viele Kilometer waren es noch bis zur Schlucht? Vielleicht konnte er bis dahin die Motive der Dorfbewohner in Erfahrung
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