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Choral des Todes

Titel: Choral des Todes
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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bringen. Wie vertrauenswürdig waren diese Leute?
    »Und Sie?«, fragte er. »Haben Sie eine persönliche Rechnung mit der Kolonie offen?«
    »Natürlich. Aber es würde zu lange dauern, Ihnen die Geschichte zu erzählen. Falls wir hier lebend herauskommen, werden wir später darüber sprechen. Sie werden meine Beweggründe verstehen.«
    Rochas bremste und schaltete zurück. Die Steppenlandschaft war noch genauso öde wie zuvor. Die gleichen kahlen Hügel. Auch das goldbraune Morgenlicht konnte dieser Wüste keinen weicheren Ton geben.
    Kasdan stieg aus dem Fahrzeug aus, während die Fahrer und die Insassen der anderen Geländewagen heraussprangen, alle mit automatischen Waffen im Anschlag. Gewehre klirrten. Spannung lag in der Luft, wie immer, wenn eine bewaffnete Einheit kurz vor der Schlacht stand. Kasdan hatte Mühe, seine Aufregung zu bezwingen. Eine heimliche Freude erfüllte ihn. Er hatte nicht geglaubt, noch einmal so etwas zu erleben.
    Er stellte seine Tasche auf den Boden und öffnete sie. Holte den Sicherheitskoffer mit seinem Präzisionsgewehr heraus. Nestelte aus seiner Hosentasche seinen Satz Miniaturschlüssel heraus. Öffnete die beiden Sicherheitszylinderschlösser. Klappte den Kunstharzkoffer auf und bewunderte die sorgfältig in den passgenau ausgeschnittenen Schaumstoff eingesetzten Einzelteile.
    Er wollte gerade den Lauf und das Zielfernrohr herausnehmen, als eine diffuse Ahnung ihn aufblicken ließ. Fünf Männer mit glänzenden Daunenjacken umstellten ihn, Gewehre in Anschlag.
    Alle Waffen waren auf ihn gerichtet.
    Die Laserstrahlen zeichneten einen kleinen Punkt auf seiner Brust.
    Bevor er wusste, wie ihm geschah, wurde der Kreis geschlossen.
    Eine Waffe in seinem Genick.
    Die freundliche, heitere Stimme von Rochas:
    »Kasdan, in einem gewissen Sinne konnte dir nichts Besseres passieren!«
    Kasdan antwortete nicht.
    Er verstand nicht.
    »Steh langsam auf und dreh dich um. Mit erhobenen Händen natürlich.«
    Kasdan leistete dem Befehl Folge. Im selben Augenblick fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. Die Wahrheit war so bizarr und gleichzeitig so naheliegend, dass er sich über sich selbst ärgerte, weil er nicht früher darauf gekommen war. Als er das bläuliche Perlmutt in den Augen Rochas sah, wusste er, dass er richtig lag.
    Pierre Rochas war Bruno Hartmann.
    Arro und seine Hippies waren nur der Wachposten der Kolonie.
    »Kennst du die Geschichte von dem König, den ein anderer Herrscher einlädt und in einem Labyrinth aussetzt, um ihn zu verspotten?«, fragte Hartmann, indem er sich vor Kasdan aufbaute. »Im Gegenzug lädt der König seinen Gastgeber ein und setzt ihn in der Wüste seines Königreichs aus. Er sagt ihm: ›Das ist mein Labyrinth; es hat weder Tür noch Treppe. Ein Labyrinth, aus dem es kein Entrinnen gibt, weil es weder eine Grenze noch einen Ausgang hat.‹ Diese Steppe ist mein Labyrinth, Kasdan.«
    Hartmann beugte sich vor und durchsuchte ihn. Er nahm ihm seine 9-mm weg und warf sie einem seiner Schergen zu. Dann tastete er seine Beine ab und entdeckte die Glock 33, »die Taschenrakete«, die Kasdan am Knöchel zu tragen pflegte.
    »Eine Grenze ist keine Frage von Zäunen. Unsere Feinde haben sich immer auf die Sicherheitszäune um die Kolonie konzentriert und nach einer Bresche gesucht, um ins Innere zu gelangen, dabei beginnt unser Territorium schon weit davor. Und unsere führenden Leute leben außerhalb des umzäunten Bereichs. Es ist die ewige Geschichte vom gestohlenen Brief. Man findet nie etwas, was nicht versteckt ist. Seit Jahren wache ich über meine Kolonie, indem ich so tue, als überwachte ich sie. Tatsächlich überwache ich euch, die Eindringlinge.«
    Eine letzte Erkenntnis schoss Kasdan durch den Kopf. Als Wilhelm Götz beschloss, Chorwerke aufzuführen, deren Anfangsbuchstaben den Namen »Arro« ergaben, wollte er nicht das der Kolonie am nächsten gelegene Dorf bezeichnen. Er wollte das Geheimnis der Sekte enthüllen. Ihr König wohnte in Arro. Bruno Hartmann, der Kopf der Gemeinschaft, befand sich nicht hinter den Sicherheitszäunen, sondern außerhalb …
    »Wo ist Volokine?«
    »In Behandlung.«
    »Was habt ihr mit ihm gemacht?«
    »Mach dir keine Sorgen. Dein Besuch hat mich dazu veranlasst, meine Pläne zu revidieren. Ich habe beschlossen, euch in eine nützliche Operation einzubinden. Eine Menschenjagd. Um meine Kinder zu trainieren. Eine notwendige Etappe der Agoge.«
    »Wie lauten die Regeln?«
    »Zehn Minuten Vorsprung für dich und den
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