Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Cheng

Cheng

Titel: Cheng
Autoren: Heinrich Steinfest
Vom Netzwerk:
Breitwandmonitoren gerade eine der beliebten Dirty-Dog-Shows lief, in denen die Kandidaten in Hundekostümen steckten, von ihren Partnern an der Leine hereingeführt wurden und nach einer eher beschaulichen Einführungsrunde begannen, einander zu attackieren oder aber die Hosenbeine des Publikums. Sie fraßen aus riesigen Näpfen Spaghetti, fletschten ihre Plastikzähne und markierten die Studioeinrichtung. Wer sich am brutalsten und widerwärtigsten aufführte, erhielt den Titel »Tagesprinz der Dirty Dogs« und wurde noch auf der Bühne eingeschläfert. Ob dieser letzte Akt bloß gestellt war, blieb unklar. In jedem Fall hätten sich die Fahrgäste am liebsten vor Lachen gebogen, wäre es nicht so eng gewesen, daß man wie in einem Korsett steckte und von Biegen keine Rede sein konnte.
    Am Red-Banner-Of-The-Free-Market-Boulevard verließ die Frau den Zug. Cheng folgte ihr. Auf der Rolltreppe holte ihn einer seiner Kollegen ein, ein junger Kerl, der sich noch um jeden Dreck kümmerte und wissen wollte, was Cheng hier trieb und wo er seinen Besen gelassen hatte. Ein Angestellter des Reinigungstrupps durfte unter keinen Umständen seinen Besen verlassen (es war der Besen, der mit der Zentrale verbunden war). Cheng bemerkte ihn nicht. Weshalb der junge Kerl, ein ehemaliger Mitarbeiter am ehemaligen Wiener Institut für Milchforschung und Bakteriologie, Cheng nun am Staubsauger packte und schüttelte. Cheng sah nicht einmal hin, schlug einfach mit der Rechten dem jungen Mann das Kinn zur Seite, woraufhin dieser mitsamt seinem Besen nach hinten fiel und von lachenden Passanten, die das für Teil einer Fernsehaufzeichnung hielten, aufgefangen wurde. Cheng kümmerte sich nicht weiter darum, war besessen davon, diese Frau, die er für Charlotte Grimus hielt, nicht noch einmal aus den Augen zu verlieren. So wie damals, auf dem Wiener Zentralfriedhof. Doch als sie nun in den komfortablen, gläsernen Aufzug stieg, der direkt hinauf ins Restaurant des Hotels Adenauer führte, zögerte er kurz, da zwei Kreuzritter die Eintretenden überprüften. Sie trugen schwarze Ledermonturen, schwarze Kappen, sogar ihre Zähne waren schwarz. Doch wurde hier selten gelächelt. Die Maschinenpistolen im Anschlag. Deutsche Privatpolizei, berühmt dafür, lieber einen unschuldigen Chinesen umzublasen, als sich eine zögerliche Einstellung vorhalten zu lassen. Andererseits: Cheng trug die rot-weiß-rote Uniform der sogenannten Besenen . Und immerhin gehörte auch dieser Aufzug zum Bereich der Untergrundbahn, wenngleich er zu einer der exklusivsten Lokalitäten der Stadt führte. Cheng sah keine andere Chance. Inmitten distinguierter Geschäftsleute näherte er sich dem Lift. Die beiden Kreuzritter sahen auf ihn hinunter, als wäre dort unten, wo sein Kopf lag, die Welt zur Vernichtung freigegeben. Ihre mit schwarzer Nivea bestrichenen Backen vibrierten. Aus den Nasen kam es heiß und feucht. Die Warnung auf ihren Brustpanzern, ihnen keine dummen Geschichten zu erzählen, wurde auch von Cheng ernst genommen. Er nickte bloß, ein Kollege unter Kollegen, ging einfach an ihnen vorbei, auch Aufzüge müssen gereinigt werden, auch dieser. Die beiden sahen ihm nach wie einem Wurm, den man eben mit übergroßen Pranken nicht zu fassen kriegt.
    Die Tür schloß sich, und der Aufzug fuhr mit einer Lautlosigkeit, die Cheng nicht zu würdigen vermochte, die fünf Etagen hinauf zum Restaurant. Er wagte kaum, zur Grimus zu sehen.
    Der Ausstieg führte in einen fensterlosen, vollständig mit rotem Plüsch ausgelegten, breiten Gang, in dem so viele Kreuzritter herumstanden, als wäre eine Belagerung geplant. Ein Haufen gewaltiger Käfer mit schwarzem Nasenhaar und wuchtigen Laserwaffen. Die Restaurantgäste, die nun aus dem Lift stiegen, kümmerte das nicht. Die meisten von ihnen trugen spezielle Brillen: Pausen- und Beruhigungsgläser, auf denen der Anblick dieser martialischen Bande von Security-Beamten schlichtweg gelöscht war. Schließlich konnten einem so viele schwarze Zähne den Appetit verderben. Cheng aber sah sie und war dementsprechend beunruhigt. Er stieg aus dem Aufzug, zog ein Reinigungsspray aus seiner Tasche, wich auf die Seite aus und gab vor, den Zustand der Außenscheiben zu überprüfen. Einer von den Kreuzrittern sah herüber, murmelte etwas Abfälliges, kümmerte sich aber nicht weiter um den Rot-weiß-rot-Gestreiften.
    Nachdem sämtliche Gäste sich in die Restauranthalle begeben hatten, schoben die Kreuzritter ihre Maulmikrophone zur
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher