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Charlotte

Charlotte

Titel: Charlotte
Autoren: Felix Thijssen
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Tür erreichten, hörte ich jemanden laut rufen: »Charlotte!«
    Ein Mädchen kam wie ein Wirbelwind die Treppe hinuntergesprungen. Es musste Lily sein, die jüngere Tochter, die offenbar nichts mitbekommen hatte. Charlotte blieb stehen. Leonoor flüsterte ihr drohend ins Ohr, verschob die Hand gespielt unschuldig auf Charlottes Schulter und hielt ihr die Pistole in den Rücken, wobei sie sich mit ihr mitdrehte.
    Heleen rief warnend: »Lily!«, doch das Mädchen war schon unten und rannte strahlend auf Charlotte zu. Sie war kleiner als ihre Halbschwester und ihre Hand glitt über die von Leonoor, als sie Charlotte die Arme um den Hals schlang und sie auf die Wange küsste.
    »Du bleibst doch bei uns, oder?«
    »Lily, ich … äh …«
    Ich schlich an der Dielenwand entlang näher. Ich sah, wie sich Lilys Gesichtsausdruck veränderte. »Was ist denn los?« Sie trat einen Schritt zurück. »Wir wollen alle, dass du bei uns bleibst, hat Mama dir das nicht gesagt? Du kannst bei mir im Zimmer schlafen.«
    Charlotte nickte, Tränen glitzerten in ihren Augen. »Später vielleicht«, flüsterte sie.
    Leonoor verzog das Gesicht zu einem Grinsen. »Denen liegt nichts an dir. Du fällst allen nur zur Last, auch mir.«
    Bevor Charlotte etwas erwidern konnte, schubste Leonoor sie mit aller Kraft von sich weg. Das Mädchen war völlig überrumpelt, stolperte ein paar Schritte und stürzte vor meinen Füßen zu Boden. Bevor sich jemand von dem Schrecken erholen konnte, packte Leonoor Lily an den Haaren und riss sie wild zu sich hin. Lily schrie auf und hinter mir stieß Heleen einen entsetzten Schrei aus. Leonoor drückte Lily die Pistole an den Hals und zog sie rückwärts mit sich zur Tür. Ich fasste Charlotte am Arm und half ihr auf. Sie wollte auf Leonoor losgehen, aber ich hielt sie fest.
    »Leonoor, du bist wahnsinnig, wenn du glaubst, dass du damit durchkommst«, sagte ich.
    Sie grinste teuflisch. Ich hatte diese rasche Metamorphose schon häufiger erlebt, wenn ein Mensch, der plötzlich in die Enge getrieben wurde, sich in einen Psychopathen verwandelte, aber Leonoor war keineswegs verrückt. Charlotte war nichts wert, aber für Lily konnte sie eine Million Lösegeld fordern. »Wahnsinnig!«, schrie sie. »Da kannst du Gift drauf nehmen!«
    Sie erreichte die Tür, riss Lilys Kopf an den Haaren zurück und richtete die Pistole zur Decke. Der Schuss dröhnte durch den Flur. Die Kugel schlug in die Verankerung eines schweren Kristallleuchters ein, der mit erstaunlich lautem Getöse und einem Orkan von Glassplittern auf den Marmorboden krachte.
    Ich begriff zu spät, dass Leonoor nur Verwirrung stiften wollte, damit sie die perplexe Lily einen Augenblick loslassen, hinter sich nach dem Türknauf tasten und die Tür aufreißen konnte.
    Alles geschah blitzschnell. Leonoor packte Lily erneut, zerrte sie mit in die offene Tür und drehte sich um.
    Wasman und ein Polizist in Uniform standen genau vor ihrer Nase.
    »Mevrouw Brasma?«
    Sie waren so vernünftig gewesen, ihre Waffen im Holster zu lassen, und Wasman klang, als wolle er ihr das allerneueste Waschmittel verkaufen. Manchmal braucht man nur so normal und naiv wie möglich aufzutreten, um einen übergeschnappten Amokläufer einen Augenblick zu ernüchtern.
    Bei Leonoor dauerte die Verwirrung weniger als eine Sekunde lang und ihre Pistole beschrieb bereits einen Halbkreis auf die Polizisten zu, als Charlotte wie eine Furie auf sie losging und ihr Lily entriss. Lily stolperte aus dem Weg. Leonoors Pistole schwenkte zurück und sie drückte den Abzug, bevor Wasman zum Sprung ansetzen konnte.
    Charlotte torkelte beiseite und fiel auf den Marmorboden. Wasman erwischte Leonoor am Handgelenk und riss ihren Arm hoch. Ein dritter Schuss krachte, dicht neben meinen Ohren. Die Kugel schlug ein Loch in den Verputz. Ich ergriff Leonoors Hand und entwand ihr die Pistole. Sie trat wild um sich, erwischte mich am Schienbein und schlug mir mit ihrer freien Hand ins Gesicht. Ich ließ die Pistole fallen, trat sie über den Dielenfußboden und Wasman und ich rangen die rasende Frau zu Boden. Der uniformierte Beamte erwischte ihre fuchtelnde linke Hand, drehte sie ihr auf den Rücken und legte ihr Handschellen an.
    Heleen war zu Boden gesunken und starrte Gwenaëlle an, die mit einem Schrei der Besorgnis auf sie zugerannt kam. Charlotte lag stöhnend auf dem Boden. Lily beugte sich über sie. Die Kugel hatte Charlottes Oberarm durchschlagen, und auf dem linken Ärmel ihrer kornblumenblauen
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