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Cevdet und seine Soehne

Cevdet und seine Soehne

Titel: Cevdet und seine Soehne
Autoren: Orhan Pamuk
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auf! Aber Sinn hat das keinen!« Dann wandte er
sich an Cevdet: »An dich habe ich eine Bitte. Komm mal her. Du musst mir was
versprechen. Ich will meinen Sohn noch einmal sehen. Bringst du ihn mir?«
    »Aus Haseki?«
    »Ja, aus Haseki. Fahr dort hin und
bring mir Ziya. Er ist dort bei einer gewissen Zeynep, das ist eine
Tante von ihm oder so etwas. Die musst du finden und den Jungen hierherbringen.«
    »Jetzt gleich?« murmelte Cevdet.
    »Ja, jetzt gleich! Sofort! Ich weiß,
wie peinlich dir das ist, da hinzufahren, aber tu es bitte trotzdem. Wenn du
mir schon den Arzt hergeschleppt hast, dann tu bitte auch das für mich. Damit
ich den Jungen ein letztes Mal …«
    Der Arzt holte gerade sein
Stethoskop aus der Tasche und warf ein: »Einen sterbenden Eindruck machen Sie
aber nicht gerade! Sie haben kräftige Lungen!«
    »Sparen Sie sich Ihr Ärztegewäsch!
Tun Sie Ihre Arbeit und kassieren Sie Ihr Geld! Cevdet, kannst du ihn bitte
bezahlen? Mehr verlange ich dann nicht mehr von dir!«
    Auf dem Weg zur Tür ließ Cevdet auf
einem Tischchen neben einem kaputten Aschenbecher zwei Goldstücke. Es freute
ihn, dass Mari das sah.
    »Mach schnell!« rief sein Bruder. »Wenigstens
nützt deine Angeberkutsche jetzt mal zu was!«

5
  DAS ALTE VIERTEL
    Schuldbewusst ging Cevdet die Treppe hinab. Er
gab dem Kutscher als Fahrziel Haseki an und stieg in das Coupé ein. Schwitzend
zündete er sich eine Zigarette an. Als der Wagen zu schaukeln begann und
draußen vor dem Fenster die Bilder an ihm vorbeidefilierten, kam er – auch mit
Hilfe der Zigarette – wieder einigermaßen zu sich. »Warum muss das alles so
sein? Und warum bin ich so?« In seinem Kopf lief noch einmal ab, was sich seit
dem Morgen zugetragen hatte. Er fragte sich, ob sein Bruder wirklich bald
sterben würde. Die Mutter hatte bis kurz vor ihrem Tod immer geklagt, dass es
demnächst mit ihr zu Ende gehe, doch in der letzten Woche war sie plötzlich
ganz anders gewesen und hatte erklärt, sie fühle sich jetzt besser, und auf
einmal war sie tot. Sein Bruder hielt jedenfalls nach wie vor an seiner groben
Art fest. Cevdet errötete beim Gedanken an jene schamlosen Reden. Als Nusret
ihn gefragt hatte, wie oft er seine Verlobte schon gesehen habe, hatte er
mitleidig lächelnd Mari angeblickt. Und als es um die Mietkutsche ging, war es
das gleiche gewesen. Wahrscheinlich lachte sein Bruder ihn jetzt noch aus.
Cevdet fragte sich, ob die Armenierin dabei auch mitlachte. »Sie mag ja hübsch
und anziehend sein, aber hingerissen bin ich keineswegs von ihr! Wie kann er so
etwas behaupten? Er hat überhaupt kein Schamgefühl. Außerdem kann ich so eine
Frau doch gar nicht bewundern, weil sie keine Frau zum Heiraten ist, sondern
eine Schauspielerin, die jeden Abend von Hunderten von Männern angestarrt wird.
Und wie der Doktor ihr die Hand geküsst hat! Wie machen sie das bloß? Sie
beugen sich vor, küssen die Frau auf die Hand, und danach machen sie so
unbefangen weiter wie eh und je. Wie schaffen sie das? Sie sind eben nicht wie
wir. Christen!« Cevdet fragte sich, warum er seinem Bruder nicht zeigen konnte,
dass er ihn gern hatte und seine Überzeugungen begriff. »Weil ich keine Zeit
habe! Wegen des Geschäfts komme ich zu nichts anderem.« Er dachte wieder an die
Worte seines Bruders zurück. »Seit er in Paris war, passt ihm hier gar nichts
mehr.« Die Kutsche fuhr knarrend über die Holzbohlen der Brücke. Cevdet blickte
auf das alte Istanbul, die Kuppeln, das wie tot daliegende Goldene Horn.
»Nichts ist ihm mehr recht zu machen! Alles findet er schlecht und
verachtenswert. Mich verachtet er auch, aber ich habe Verständnis für ihn!« Er
las das Schild auf der anderen Brückenseite: »Die besten Zigarren und
Zigaretten, Erzeugnisse der Tabakregie: Tabakhändler Angelidis.« Er zündete
sich noch eine Zigarette an und versank im Dunst seiner Gedanken.
    Als er vom Kutschenfenster aus die
Beyazıtmoschee und daneben das Kriegsministerium sah, dachte er freudig an
seine Kindheit zurück. Mit seinem Bruder war er damals oft hierhergekommen.
Wenn den Ramadan über im Innenhof der Moschee das Volk sich um die
Verkaufsstände drängte, konnte man mit etwas Glück eine wichtige Persönlichkeit
sehen. Cevdet bekam damals seinen ersten Minister zu Gesicht. »Der
Handelsminister Ahmet Fehmi Paşa war das wohl? Wie lange ist das jetzt
her? Achtzehn, neunzehn Jahre? Nusret hatte gerade sein Medizinstudium
begonnen, und der Vater lebte noch.« Traurig dachte er an jene Zeit
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