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Cash

Cash

Titel: Cash
Autoren: Richard Price
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unterbrochener Tätigkeit für Harry Steele sehe Eric inzwischen aus wie sein Chef; beide hatten diese mürrischen Tränensäcke wie Serge Gainsbourg oder Lou Reed, denselben gleichgültigen Körperbau, mit dem Unterschied, dass bei Harry Steele der Mangel an Attraktivität den Nimbus seines goldenen Händchens nur noch nährte.
    Eine Kellnerin vom Grouchie, die sich alle sieben Zwerge in Marschrichtung aufwärts auf die Innenseite ihres Oberschenkels hatte tätowieren lassen, hatte Eric einmal gesagt, die Menschen seien entweder Hunde oder Katzen, und er sei auf jeden Fall ein Hund, zwanghaft darum bemüht, die Bedürfnisse eines jeden zu erahnen - ziemlich schäbig, so was jemandem zu sagen, mit dem man gerade geschlafen hat, aber es war wohl was dran, denn trotz seines permanenten »Ich bin aber mehr«- Mantras setzte ihn in diesem Moment der hilflose Frust seines Chefs akut unter Strom.
    Jedenfalls saß Steele jetzt nicht mehr allein an dem kleinen Tisch, sondern mit seinem Händler Paulie Shaw, einem spitzgesichtigen Drecksack, der Eric mit seinem wachen Blick, seiner rasanten Zunge und allgemein angespannten Aura an zu viele Schattenspieler aus den Tagen der Schande erinnerte. Während er eine fünfte Tasse Kaffee ausschlug, sah er zu, wie Paulie einen Aluminium-Aktenkoffer öffnete und dessen samtenem Innenleben einige rechteckige Glas-Negative in je eigenem Futteral entnahm. »>Ludlow Street Sweatshop<«, sagte Paulie und hielt das Negativ an den Kanten hoch. »>Blinder Bettler, 1888<. >Humpen Bier <. >Banditenrast< - das hier, wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, so viel wert wie alle anderen zusammengenommen. Und schließlich und endlich die >Mott Street Barracks<.«
    »Phantastisch«, murmelte Steele, und sein Blick wanderte zum wiederholten Mal zur Wunderprozession, zum leeren Cafe.
    »Jedes einzelne von Riis für seine Vorträge persönlich handgerahmt«, sagte Paulie. »Der Mann war seiner Zeit Lichtjahre voraus, völlig multimedial, hat sechzig bis hundert davon auf einer riesigen Leinwand zu Musik ineinander überblenden lassen. Die feinen Matronen müssen sich die Eier abgejammert haben.«
    »Okay.« Steele hörte nur halb zu.
    »Okay?« Paulie beugte sich herab, um Steeles Blick zu erhaschen. »Zu dem, was wir für die Zahl, die wir besprochen haben?«
    «Jaja.« Steeles Knie wippten unterm Tisch.
    Der verkaterte Typ an der Bar lachte plötzlich über etwas, das sein Freund gesagt hat; das Gebell hallte von den gefliesten Wänden wider.
    »Mike, stimmt's?« Eric deutete mit dem Kinn auf den Probe-Barkeeper.
    »Ike«, erwiderte der ganz locker, nach wie vor auf die Zinkfläche gestützt, als gehörte ihm die Bar. Er hatte einen kahlrasierten Schädel und eine Schar von Retro-Tattoos auf der Innenseite seiner Unterarme - Hula-Mädchen, Meerjungfrauen, Teufelsköpfe, Panther -, doch sein Lächeln war hold wie ein Himmelszelt. Dieser Junge, dachte Eric, die wandelnde Reklame für dieses Viertel.
    »Ike, sieh mal nach, ob sie was brauchen.«
    »Alles klar, Chef.«
    »Presto«, sagte sein Freund.
    Als Ike hinter der Bar hervorkam und auf den kleinen Tisch zuging, hob Paulie gerade die Samteinlage seines Köfferchens an und brachte eine weitere Lage Mitbringsel zum Vorschein, aus der er ein großes terrakottabraunes Taschenbuch holte. »Sie mögen doch Orwell?«, sagte er zu Steele. »Der Weg nach Wigan Pier, die Fahnen vom Victor Gollancz Left Wing Buchclub, 1937. Das hier existiert eigentlich gar nicht.«
    »Nur die Riis-Tafeln.« Steeles Blick wanderte wieder zu der beinahe reglosen Schlange. »Das hält man doch im Arsch nicht aus«, bollerte er in den Saal.
    »Wie wär's mit Henry Miller«, sagte Paulie schnell und wühlte in seinem Koffer. »Mögen Sie Henry Miller?«
    Ikes Schatten fiel auf den Tisch, Paulie wandte sich um und beäugte ihn über die Schulter. »Kann ich etwas für Sie tun?«
    »Wollen Sie irgendwas?«, fragte Ike.
    »Wir sind durch«, antwortete Steele.
    »Henry Miller.« Paulie zog ein gebundenes Buch heraus. »Erstausgabe, Der klimatisierte Alptraum, makelloser Schutzumschlag, und Sie glauben es nicht, Nelson - A - Rockefeller gewidmet.«
    Auf der Rivington Street entbrannte ein Streit auf Spanisch, und jemand wurde mit dumpfem Knall gegen das Cafefenster geschubst.
    »Dieses Viertel«, sagte Steele fröhlich und sah zum ersten Mal an diesem mausetoten Vormittag Eric an. »Bisschen zu viel durcheinander, nicht genug miteinander, stimmt's?« Dann wandte er sich an seinen Händler:
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