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Cash

Cash

Titel: Cash
Autoren: Richard Price
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jemand hinterherpöbelte. Drinnen spielte Nazir, einer der jemenitischen Brüder, ein großgewachsener, hagerer Mann mit einem Adamsapfel wie ein Tomahawk, Türsteher und Kassierer, eine Hand mit einem fetten Bündel Dollarnoten besetzt, die andere den einlaufenden Pilgern mit lockenden Fingern entgegengestreckt. »Grüßt Maria.« Seine Stimme forsch und melodisch. »Sie liebt euch sehr.«
    Die Jungfrau war eine vierzig Zentimeter große kürbisrunde Silhouette aus Reif an der Glastür des Bier- und Seltersregals, ihr geschmeidig sich verjüngendes Haupt über dem breiteren Unterbau leicht zur Seite geneigt, was Eric ein wenig an all die Marias in der Kunstgeschichte erinnerte, die ihr bedecktes Haupt neigen, um das Kind in ihren Armen zu betrachten, aber eigentlich war das ziemlich weit hergeholt.
    Die Leute, die um Eric herum knieten, hielten Fotohandys und Camcorders in die Höhe, legten im Laden erstandene Blumensträuße nieder, Kerzen, Ballons - auf einem stand du bist so einzigartig -, handschriftliche Botschaften und weitere Andenken, vor allem aber blickten sie ausdruckslos, zum Teil mit gefalteten Händen, bis Tariq, der zweite jemenitische Bruder, zu ihnen trat, »Maria sagt jetzt auf Wiedersehen«, und die Gemeinde mit diesen Worten zum Lieferanteneingang hinauskomplimentierte, um für die nächste Gruppe Platz zu schaffen.
     
    Als Eric wieder am Eingang des Ladens angekommen war, hatte ein älterer Polizist Fenton Ma abgelöst, auf seiner Marke stand lo presto.
    »Darf ich Sie was fragen?«, sagte Eric vorsichtig, da er den Mann nicht kannte, »haben Sie sie da drin gesehen?«
    »Wen, die Jungfrau?« Lo Presto sah ihn unbewegt an. »Kommt drauf an, was Sie >sehen< nennen.«
    »Na ja. Sehen.«
    »Also, ich sag Ihnen was.« Er blickte in die Ferne und tastete in seiner Brusttasche nach einer Zigarette. »Gegen acht heute Morgen, ja? Gehen paar Typen vom neunten Revier rein, ja, von wegen nur mal gucken? Kniet direkt vor dem Ding Servisio Tucker, der hat vor circa sechs Monaten auf der Avenue D seine Frau umgebracht. Also, die Kollegen haben seitdem die ganze Gegend umgekrempelt, ja? Und heute Morgen brauchen sie nur reinmarschieren, und da hockt er, auf den Knien. Er guckt sie an, feuchte Augen, streckt die Arme aus für die Handschellen und sagt: >Okay, gut, bin jetzt bereit<.«
    »Hm.« Eric war ganz gebannt und spürte einen Anflug von Optimismus.
    »Also ...« Lo Presto steckte sich endlich eine an und blies genüsslich den Rauch aus. »Ob ich sie gesehen hab? Wer weiß. Aber wenn das, was ich Ihnen da grad erzählt hab, kein Wunder ist, weiß ich auch nicht.«
     
    An einem strahlenden, ruhigen Morgen wie diesem, wenn das Berkmann leer war, befreit von der dichten, alkoholisierten Fieberhaftigkeit des Vorabends, war der Raum ein luftiger Palast, und nirgends sonst im Viertel war es schöner als hier in einem lackierten Korbstuhl mit dem entspannten Luxus eines Cafe au lait und der New York Times, während das Sonnenlicht von den Naturfliesen schwappte, umgeben von Weinregalen mit kryptisch schablonierten Nummern auf den Flaschen, Drahtglas und teilentsilberten Spiegeln, dies alles aus diversen Lagerhäusern in New Jersey aufgestöbert vom Besitzer Harry Steele: ein Restaurant im Gewand eines Theaters im Gewand der Nostalgie. Für Eric waren die ersten Augenblicke im Cafe jeden Tag wie die ersten Augenblicke in einem Major-League-Baseballstadion: mit diesem schwirrenden Rausch von Raum und geometrischer Perfektion, kam er doch aus seiner knochenschmalen Dreizimmerwohnung, in der eines der beiden Fenster auf den Lichtschacht ging, der eigentlich für Querlüftung gedacht war, seit dem Jahr des McKinley-Attentats jedoch als Müllschlucker diente.
    Obwohl er an diesem Vormittag nichts weiter zu tun hatte, als die Zeitungen auf ihrem pseudoantiken Holzständer zu ordnen oder sich auf sein Pult zu lehnen, flattrig vom vielen Kaffee, den ihm die beiden Probe-Barkeeper servierten, war ihm jedoch selbst diese flüchtige Freude verwehrt. In seiner kribbeligen Langeweile genehmigte er sich einen Moment, die neuen Kräfte hinterm Tresen zu begutachten: einen Schwarzen mit grünen Augen und Dreadlocks namens Cleveland und einen Weißen - Spike? Mike? -, der gerade auf der verzinkten Tresenplatte lehnte und mit einem pummeligen Freund plauderte, der die Prozession erfolgreich durchbrochen hatte. Dieser Freund hatte offensichtlich einen noch größeren Kater als Eric.
    Es hieß, nach vierzehn Jahren immer wieder
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