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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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Hinausgehen:
    Â»Er soll unterschreiben, was er will, und dann verschwinden. Dieser Penner nützt uns nichts. Suchen Sie mir einen anderen.«
    Cayetano sollte erst spät in der Nacht freikommen. Die Journalisten, alles ehemalige Kommilitonen der Pflichtverteidigerin, erwarten ihn an einer der Hintertüren, doch die Blondine höchstpersönlich begleitet Cayetano durch den Haupteingang. Als sie die Vía Layetano hinuntergehen, findet Cayetano zur Grazie eines großen Clochards zurück und lädt seine Anwältin zum Abendessen in eine Spelunke in der Nähe der Kirche Santa María del Mar ein, wo Leute wie er geduldet werden.
    Â»Das mit den Stichen in die Fotze habe ich erzählt, weil das garantiert keiner getan hat, und wenn es keiner getan hat, wie soll ich es dann getan haben? Ich habe gelernt, wenn man dich dazu verdammt, wie ein Schurke zu leben, dann musst du das halt auf dich nehmen, du musst noch mehr auf dich nehmen, als sie dich zwingen, noch mehr, nur so kannst du sie besiegen. Dass man ihr ins Herz gestochen hat, erstaunt mich nicht. Sie hatte ein ziemlich törichtes, aber auch ein großes und sehr verwundetes Herz. Ein Arzt hat mal zu mir gesagt, oder ich habe es gelesen, dass jedes Unglück, das uns zustößt, eine Narbe in unserem Herzen hinterlässt.«
    Cayetano stieß das Taschenmesser zweimal tief in den Pfirsich. Margarita schloss die Augen, und später, auf der Straße, als sie wieder allein war, hielt sie sich die Hand aufs Herz. Cayetano schrie:
    Â»Ich schick dir ein Geschenk! Ich habe Geld! Mehr Geld, als du jemals als Pflichtverteidigerin verdienen wirst! Vielen Dank, Süße!«
    Er musste zu seinem Karren. Mit Siebenmeilenstiefeln eilte er los, ließ den Parque de la Ciudadela hinter sich und erreichte den heruntergekommenen Teil von Poblenou, wo es die besten Verstecke gab wie die verlassene Werkstatt. Er bewegte den Bollerwagen ein Stück zur Seite, und auf dem Boden kam ein Metalldeckel zum Vorschein. Cayetano nahm ein Brecheisen, und der Deckel fiel wie eine riesige Münze neben das Loch, das er bedeckt hatte. Cayetano legte sich auf den Boden und steckte beide Arme in die Öffnung. Als er sie wieder herauszog, hielt er ein schmutziges Bündel in den Händen, das nur wenig wog. Als er es aufmachte, kamen verschiedene Kleidungsstücke, ein Kulturbeutel mit der Aufschrift
Agua Lavanda Puig
und ein in Zeitungspapier gewickeltes Päckchen zum Vorschein. Der Bettler rasierte sich mithilfe eines Eimers Wasser und wusch sich die Körperpartien, die sichtbar bleiben würden. Die anderen bedeckte er mit einem karierten, grauen Zweireiher und einer Weste, dazu einem blauen Hemd und einer Krawatte von Hermès, gefunden in einer Mülltonne in Pedralbes und von Palita geflickt. Und da waren die besten Schuhe, die er je besessen hatte, auch aus der Mülltonne in Pedralbes, Marke Church, fast so wie Churchill, ein Hinweis, dass sie aus England stammten und sehr edel waren. Es gab zwar keinen Spiegel, aber Cayetano wusste auch so, dass er nicht mehr Cayetano war, und er fühlte sich noch mehr wie ein anderer Mensch, als er das Päckchen öffnete und ein Sparbuch der Bank La Caixa und ein Geldbündel mit Zehntausend-Peseten-Noten herauszog, die er als Erstes zählte und gleich noch mal zählte. Eine halbe Million. Er verteilte das Geld auf die verschiedenen Taschen seines Anzugs, stopfte die alte Kleidung in das Loch am Boden, verschloss es mit dem Deckel und betrachtete eine Zeitlang seinen Bollerwagen. Zärtlich strich er über die Lagen aus Karton, tat einen Schritt zurück und versetzte dem Wagen einen solchen Tritt, dass er auf die Seite fiel. Dann machte er sich zu den neuen, im Morgengrauen ruhenden Stränden der Ciudad Olímpica auf und ließ sich auf einer Bank nieder, die die Stelle überragte, wo Poblenou und das neue Barcelona aufeinandertrafen, die Nueva Icaria, wie die Immobilienbranche den Ort vor den Olympischen Spielen in ihrer Werbung getauft hatte. Er wusste, Carvalho würde dort auf dem Weg zu seinem Onkel vorbeikommen, um sich nach einer möglichen Reise nach Argentinien zu erkundigen. Er wusste, dass der Dicke nicht weit weg sein würde und dass es wichtig war, den beiden zu begegnen, ohne von ihnen erkannt zu werden.
    Carvalho kam um elf Uhr vormittags. Er vergewisserte sich, dass es der richtige Treppenaufgang war, und drückte auf den Klingelknopf des Penthouses. Der
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