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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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Traurigkeit eines gebrochenen Mannes.
    Jetzt stehe ich an der Ecke, halte die Hand auf
    bis ich einen Einfaltspinsel erweiche
    etwas wird man mir schon geben
    und wenn es nur Verachtung ist.
    Ich habe nie gesagt, gib mir die Kohle
    dein Lude war ich nie
    im Gegenteil, du ließest mich zurück
    ohne Gesicht, Schwengel, Würde und Zaster.
    Süße Erpressungen einer Spielerin
    du hast auf einen Jüngling gesetzt
    der die Verwüstung
    das Unglück eines Orkans
    zwischen deinen Schenkeln zurücklässt.
    Zärtliche Erpressungen
    eines verdorbenen Weibes
    du bist mit einem Schakal verduftet
    mir blieb nur die Leere
    zwischen den Beinen
    die kalte Traurigkeit des Grabes.
    Als der Galicier die improvisierte Künstlergarderobe betrat, um die beiden zu begrüßen, verbeugte er sich mehrmals vor Dorotea und applaudierte mit den Fingerspitzen.
    Â»Mein Kontingent an Argentinität ist aufgebraucht, aber ich habe Gefallen gefunden. Was soll’s, ich gebe der Bitte meines Onkels nach und fliege nach Buenos Aires, um meinen Cousin Raúl zu suchen. Ich gehe, um zu gehen. Ich habe nichts in Buenos Aires verloren. Aber wer weiß.«
    Â»Und wir?«
    Â»Keine Sorge. Ich habe eine Abmachung mit Lifante, und an die muss er sich halten.«
    Â»Und die Wahrheit der Geschichte?«
    Â»Die ist gewaltig. Eine Wahrheit, die zu groß ist für uns. Viele Wahrheiten sind zu groß für uns. Die der Heiligen Dreifaltigkeit zum Beispiel.«
    Carvalho überließ Dorotea den letzten geistigen Reserven ihres Flachmanns, während Dieste noch ein paar Aspekte an ihrem Auftritt zu korrigieren versuchte.
    Â»Wenn es heißt ...
du ließest mich zurück ohne Gesicht, Schwengel, Würde und Zaster
... dann versteht dich ein großer Teil des Publikums nicht, vor allem dieses Publikums, weil das Lunfardo ist. Deshalb musst du vermitteln, mit dem Ton deiner Stimme, mit deinem Auftreten, du musst übersetzen, damit das Publikum dich versteht, du musst den Text mit Leben füllen.«
    Â»Mit Leben«, flüsterte Dorotea melancholisch.
    Mit Leben, sagte sich Carvalho immer wieder, während er ziellos durch die Gegend lief. Sollte er ins Büro gehen, um gemeinsam mit Biscuter Bilanz zu ziehen, wie ihn sein Assistent gebeten hatte? Sollte er nach Hause gehen? Sollte er einen Wiedersehens- oder Abschiedsbrief an Charo schreiben? Ich gehe nach Buenos Aires, und ob ich nach Buenos Aires gehe. Am Ende ging er ins Büro, wo Biscuter gerade mit dem Abendessen fertig war, frugal, Chef, eine kleine Tortilla mit Kabeljau und Zwiebeln und
pa amb tomàquet
. Es ist noch die Hälfte da. Haben Sie schon gegessen, Chef? Carvalho nahm sich die halbe Tortilla und die zwei Scheiben Brot mit Tomate, die ihm Biscuter zubereitete, dazu zwei, drei, vier Gläser Vino de Cosechero, Rioja Alta.
    Â»Ich komme auf ganz schön viele Tote, Chef. Helga, Rocco, die arme Pepita de Calahorra, und alles wird dieser Niete, diesem Cayetano, in die Schuhe geschoben. Das glaubt doch kein Mensch.«
    Â»Man wird es glauben.«
    Â»Und der Ehrenkodex?«
    Â»Ich habe mehr für meine Klientin getan als in jedem anderen Fall. Ich garantiere ihr ihr Leben. Ich habe ihr gesagt, wer der Mörder ist, und ich schütze sie vor ihm.«
    Â»Wer ist es gewesen?«
    Â»Die Geschichte, der schmutzige Krieg. Die Vergangenheit. Die Vergangenheit ist der Ort, wo man die Gründe findet, das heißt, die Schuldigen. Deshalb beharren die Schuldigen so sehr darauf, die Vergangenheit ruhen zu lassen und ihr keine Bedeutung beizumessen. Sie wollen eine Welt ohne Schuldige, und wenn das nicht geht, wenn die Schuld der Vergangenheit ans Licht kommt, dann töten die Schuldigen erneut und werden wieder das, was sie immer waren. Mörder.«

28 Das Herz und andere bittere Früchte
    Cayetano war bekleidet, hielt sich aber die Hände vor die Geschlechtsteile, den Mund weit geöffnet, ohne Schneidezähne, ohne Backenzähne, ohne Luft, bis ihm die Nähe zweier Polizisten die Worte diktiert.
    Â»Das mit dem Geld war nebensächlich. Es war seine Verachtung. Er hat mich behandelt wie einen Hampelmann, sie war die Kluge, diejenige, die kurz davor war ... Was weiß ich! Emmanuelle zu sein.«
    Die Verteidigerin hatte ihren Arm gehoben, als wollte sie Lifante um Erlaubnis bitten, ihren Mandanten zu korrigieren. Lifante ging nicht darauf ein, und Cayetano warf ihm so etwas wie ein Augenzwinkern zu, bevor er
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