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Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte

Titel: Carvalho und das Mädchen, das Emmanuelle sein sollte
Autoren: Manuel Vázquez Montalbán
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sich selbst. Er ist ein Depp, aber einer mit guten und schlechten Seiten. Manchmal zeigt er die guten, manchmal die schlechten. Ich erzähl dir, worum es bei der Show geht. Es geht um Stücke aus der Zeit nach Piazzolla, auch von Piazzolla selbst, aber das eigentliche Thema sind die Paradoxe. Es geht um jungfräuliche und weniger jungfräuliche Mädchen, um die Gespenster der Jugend, um die Verdorbenheit der Welt der Erwachsenen. Es endet mit meinem Tango, meinem, ganz allein meinem. Und du wirst ihn singen.«
    Â»Der Intendant hat viel für dich übrig, er sagt, du wärst ein Philosoph. Wozu sind Philosophen gut? Sie haben sich vom Marxismus abgewandt. Und die Anthropologen? Mir sind die Anthropologen lieber, aber nur wegen des schönen Klangs. Anthropologie ist ein vollkommenes Wort. Passt dein Tango zur Philosophie, zur Anthropologie?«
    Dieste versuchte sich zu erinnern. Schließlich trällerte er:
»Du sagtest, du wärst noch ein Mädchen, doch du warst das Mädchen einer Madame ...«
    Â»... die eine Nutte aus dir machte, ohne dich zu fragen, ob es aus Vergnügen oder Langeweile war
. Reine Kulturanthropologie. Das gefällt mir.«
    Â»Trink einen Flachmann Grappa. Wenn dich der Mut verlässt, trink ein Schlückchen oder hundert. Etwas betrunken kriegst du den Tango noch besser hin. Ich wünschte, du könntest ihn mit dieser zugleich kaputten und zärtlichen Stimme einer Varela singen. Heutzutage hat niemand mehr eine Stimme wie Adriana Varela. Denk an die Stimmlage, mit der sie
Afiche
oder
Malena
singt. Nicht die Stilistin Adriana Varela von
Volver
, nein, ich will keine Adriana Varela, die wie eine Vorwegnahme von Chavela Vargas klingt.«
    Hinter den Kulissen ging Dorotea noch einmal ihren Auftritt durch, trank zwischendurch immer wieder einen Schluck aus dem Fläschchen und beobachtete dabei Carvalhos Reaktionen, der hierarchisch wie der Vater aller Sphinxen im Publikum saß. Endlich leitete Dieste zum letzten Programmpunkt des Abends über. Er stand auf der Bühne, so übertrieben als schäbiger Vagabund verkleidet, dass er auf komische Weise die Intelligenz des Publikums beleidigte.
    Â»Ich bin impotent. Im ... potent. Werte Herren, sollten Sie mich mal mit Ihren Frauen im Bett erwischen, brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen. Ich tue es nur aus Höflichkeit, aus Nostalgie, oder weil ich ein Shakespeare’scher Schauspieler bin und mit Falstaff sage: ›Es gehört zum Wesen des Menschseins, dass die Lust die Potenz überlebt!‹ Die Damen, die mit mir ins Bett gehen, müssen sich anschließend nicht mal die Nase pudern, und schuld daran ist meine erste Liebe, eine Liebe voller Paradoxe. Meine erste Liebe hatte zwei Paradoxe hier, und ein weiteres da. Die zwei oberen Paradoxe haben den Appetit geweckt, doch das untere, das untere war wie ein zahnbewehrter Mund, wer dort eindrang, wurde verschlungen. Dantes enge Pforte! Mich führte sie zur Stadt der Trauer. Für impotente Männer ist die Hölle eine Möse, oder Muschi, wie man bei mir zu Hause sagt. Dieser Muschi habe ich meine Jugend geopfert. Ich war derart jung, dass ich nicht mal einen Kalender oder eine Uhr brauchte. Sie sehen, was aus mir geworden ist. Sie war mein Ruin. Ich gab ihr alles, was ich hatte, denn was ich nicht hatte, konnte ich ihr nicht geben. Und sie sagte, sie wäre noch ein Mädchen ...«
    Er zeigte nach links, wo Dorotea ins Licht des Scheinwerfers trat, nichts als Wimperntusche und Falten, eingetaucht in Schminke von einem Orange, das im Licht leuchtete. Ihre nackten Beine in schwarzen Netzstrümpfen, Stöckelschuhe aus rotem Lack und ein bestickter Manila-Seidenschal, der bestimmt nie in Manila gewesen war. Wie zur Warnung setzt das Bandoneon ein, schleppt sich dahin wie ein Schwall von Gefühlen, in denen das Schnauben der Zuschauer versinkt, dann hebt Dorotea Samuelson mit einer an Chavela und Varela erinnernden Stimme zu singen an:
    Du sagtest, du wärst noch ein Mädchen
    doch du warst das Mädchen einer Madame
    die eine Nutte aus dir machte, ohne dich zu fragen
    ob es aus Vergnügen oder Langeweile war.
    Ich hab nie gesagt, gib mir die Kohle
    dein Lude war ich nie
    im Gegenteil, du ließest mich zurück
    ohne Gesicht, Schwengel, Würde und Zaster.
    Zärtliche Erpressungen
    eines verdorbenen Weibes
    du bist mit einem Schakal verduftet
    mir blieb nur die Leere
    zwischen den Beinen
    die kalte
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