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Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)

Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)

Titel: Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)
Autoren: Unbekannt
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keine Rolle, weil Sie immer so liebe, gütige Antworten geben. Ich habe
letzten Juni über die Kuchenmischung geschrieben. Ich bin nicht verrückt, und
ich weiß, daß mein Mann versucht, mich zu töten. Könnte ich wohl bitte kommen
und Sie, sobald es Ihnen paßt, besuchen? Ich bin sicher, Sie werden mir glauben
und erkennen, daß ich normal bin. Könnte es wohl bitte so bald wie möglich sein, ich fürchte mich so sehr vor
den langen Nächten. Ich weiß nicht, an wen ich mich sonst wenden soll. Ich
könnte es mit Mr. Cardew im Bethaus versuchen, aber er würde mir nicht glauben,
und Vater ist zu praktisch eingestellt. Ebensogut könnte ich tot sein. Irgend
etwas an ihm ist nicht ganz in Ordnung. Manchmal bei Nacht, wenn er glaubt, ich
schlafe, liegt er jetzt da und starrt in die Dunkelheit. Ich weiß, es ist
falsch, solche häßlichen Dinge zu denken und Angst im Herzen zu haben, aber ich
kann es nicht ändern.
    Ich hoffe,
Sie bekommen nicht viele Briefe wie diesen.
    Hochachtungsvoll
Stella Rode (Mrs.) geborene Glaston
     
    Einen
Augenblick saß sie ganz still an ihrem Schreibtisch und betrachtete die Adresse
in hübscher blauer Gravur am Kopf der Seite: »North Fields, Carne School, Dorset.«
In diesem Moment des Schocks und des Staunens drängt sich ein Satz in ihr
Gedächtnis: »Der Wert einer Nachricht hängt von ihrer Herkunft ab.« Das war
John Landsburys Lieblingswort. Ehe man nicht die Abstammung einer Information
kennt, kann man einen Bericht nicht auswerten. Ja, das pflegte er zu sagen.
»Wir sind nicht demokratisch. Wir verschließen die Tür vor Nachrichtenmaterial
ohne gute Abkunft.« Und sie pflegte zu antworten: »Ja, John, aber selbst die
besten Familien mußten irgendwo anfangen.«
    Stella
Rode kam jedoch aus einer guten Familie. Miss Brimley erinnerte sich jetzt an
alles. Stella war das Glaston-Mädchen. Das Mädchen, über dessen Heirat im
Leitartikel berichtet worden war, das Mädchen, welches das Sommerpreisausschreiben
gewonnen hatte; Samuel Glastons Tochter aus Branxome. Über die gab es eine
Karte in Miss Brimleys Kartothek.
    Abrupt
stand sie auf, den Brief noch immer in der Hand, und ging zum vorhanglosen
Fenster. Unmittelbar vor ihr war ein moderner Blumenkasten aus geflochtenem
Weißeisendraht. Merkwürdig, überlegte sie, daß sie es nie fertigbrachte, in
diesem Blumenkasten etwas zum Wachsen zu bringen. Sie blickte zur Straße
hinab, eine schmale, vernünftige Gestalt, die sich ein wenig nach vorn beugte,
eingerahmt von dem leuchtenden Nebel draußen; Nebel, gelb gefärbt von dem
Licht, das er Londons Straßen stahl. Tief unten konnte sie gerade noch die
Straßenlampen unterscheiden, die fahl und trüb wirkten. Plötzlich empfand sie
das Bedürfnis nach frischer Luft und öffnete mit einem ihrer sonstigen Ruhe
völlig widersprechenden Impuls weit das Fenster. Augenblicklich brachen Kälte
und eine Welle tosenden Lärms über sie herein, und der heimtückische Nebel
folgte. Das Geräusch des Verkehrs war stetig, so daß sie einen Augenblick
glaubte, es komme vom Lauf einer großen Maschine. Dann hörte sie über dem
gleichmäßigen Dröhnen die Zeitungsjungen. Ihre Schreie waren wie die von Möwen
gegen einen aufkommenden Sturm. Sie konnte sie jetzt sehen, Wachtposten unter
den hastenden Schatten.
    Es konnte
wahr sein. Das war immer die Schwierigkeit gewesen. Den ganzen Krieg hindurch
war es die gleiche rastlose Suche gewesen. Es konnte wahr sein. Es war
zwecklos, Berichte auf ihre Wahrscheinlichkeit zu untersuchen, wenn man gar
nichts wußte, von dem man ausgehen konnte. Sie erinnerte sich an die ersten
Agentenberichte aus Frankreich über die V-Waffen, wildes Gerede über
Betonabschußbasen in den Tiefen eines Waldes. Man mußte dem Dramatischen
widerstehen, sich dagegen behaupten. Doch, es konnte wahr sein. Morgen, am Tage
danach, würden die Zeitungsjungen da unten es vielleicht ausrufen, und Stella
Rode, geborene Glaston, konnte tot sein. Und wenn das so war, wenn die
geringste Chance bestand, daß dieser Mann plante, diese Frau zu töten, dann
mußte sie, Ailsa Brimley, alles tun, was in ihren Kräften stand, um es zu
verhindern. Wenn irgend jemand Anspruch auf ihre Unterstützung hatte, so war es
Stella Rode: Sowohl ihr Vater wie ihr Großvater hatten die »Stimme« abonniert,
und als Stella vor fünf Jahren heiratete, hatte Miss Brimley darüber einige
Zeilen im Leitartikel gebracht. Die Glastons schickten ihr jedes Jahr eine
Weihnachtsglückwunschkarte. Sie gehörten zu den
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