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Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)

Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)

Titel: Carre, John le -Ein Mord erster Klasse (Smiley Bd 2)
Autoren: Unbekannt
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sich plötzlich
alt; dieses dünne schmerzhafte Ziehen über der Brust, diese Schwere in den
Beinen und Füßen. Solch eine Anstrengung, mit Menschen zusammenzusein - immer
Theater zu spielen. Er haßte es, allein zu sein, aber die Menschen langweilten
ihn. Alleinsein war wie Müdesein ohne die Fähigkeit zu schlafen. Irgendein
deutscher Dichter hatte das gesagt; er hatte es einmal zitiert: »Du darfst
schlafen, aber ich muß tanzen.« Etwas dergleichen.
    So bin
ich, dachte Fielding. So ist auch Carne; ein alter Satyr, der zur Musik tanzt.
Die Musik wurde schneller, und ihre Körper wurden älter, doch sie mußten
weitertanzen - in den Kulissen warteten junge Leute. Einmal war es komisch
gewesen, die alten Tänze in einer neuen Welt zu tanzen. Er schenkte sich noch
etwas Brandy ein. Eigentlich ging er nicht ungern von hier fort, obwohl er
irgendwo anders wieder unterrichten mußte.
    Aber es
hatte seine Reize, Carne... Der Hof der Abtei im Frühling... die
Flamingo-Gestalten der Jungen, die auf das Ritual der Andacht warteten... die
Ebbe und Flut der Kinder, wie die Jahreszeiten, und die alten Männer, die
dazwischen starben. Er wünschte, malen zu können; er würde das Schauspiel von
Carne in den falben Brauntönen des Herbstes malen... Was für ein Jammer, dachte
Fielding, daß sein Geist, der für Schönheit empfänglich war, kein
schöpferisches Talent besaß.
    Er sah auf
die Uhr. Viertel vor zwölf. Fast an der Zeit auszugehen... um zu tanzen, nicht,
um zu schlafen.
     
    DAS DONNERSTAG-GEFÜHL
     
    Es war
Donnerstagabend, und die »Christliche Stimme« war gerade in Druck gegangen. In
der Fleet Street war dies kaum ein historisches Ereignis. Der picklige
Botenjunge, der den zerzausten Stoß von Umbruchseiten mitnahm, zeigte sich
nicht dienstwilliger als unbedingt nötig war, um seine Weihnachtsgratifikation
nicht zu gefährden. Und selbst in dieser Hinsicht hatte er gelernt, daß die
weltlichen Journale von »Unipress« mehr materielle Wohltat versprachen als die
»Christliche Stimme«; Wohltat stand nämlich genau im Verhältnis zum Absatz.
    Miss
Brimley, die Herausgeberin der Zeitschrift, rückte das Luftkissen unter sich
zurecht und zündete sich eine Zigarette an. Ihre Sekretärin und Redakteurin -
die Anstellung schloß beide Verantwortungen ein - gähnte, ließ ihr
Aspirinfläschchen in die Handtasche fallen, kämmte ihr gelbliches Haar und
sagte Miss Brimley gute Nacht, wie üblich einen Geruch stark parfümierten
Puders und einen leeren Papiertücherkarton zurücklassend. Miss Brimley hörte
zufrieden das scharf abgehackte Echo ihrer Schritte den Korridor hinunter verklingen.
Es gefiel ihr, daß sie endlich, endlich allein war, und sie genoß die plötzliche
Leere. Sie mußte sich immer wieder über sich selbst wundern, wie jeder
Donnerstagmorgen, wenn sie das riesige Unipress-Gebäude betrat und etwas
lächerlich, gleich einem farblosen Bündel auf einem Luxusdampfer, auf einer
Rolltreppe nach der anderen stand, dasselbe leichte Unbehagen mit sich brachte.
Jeder wußte, sie hatte die »Stimme« vierzehn Jahre lang herausgebracht, und es
gab Leute, die sagten, daß ihr Layout das Beste sei, was Unipress mache. Und
doch verließ sie dieses Donnerstag-Gefühl nie, nie die wache Sorge, daß sie
eines Tages, vielleicht schon heute, nicht fertig sein würde, wenn der Botenjunge
kam. Sie überlegte oft, was dann wohl passieren würde. Sie hatte von
Fehlschlägen anderswo in diesem riesigen Konzern gehört, von Sonderartikeln,
die mißbilligt, und von Redakteuren, die getadelt worden waren. Ihr war es ein
Rätsel, warum sie die »Stimme« überhaupt beibehielten, mit dem teuren Büro im
siebenten Stock und einer Auflage, die, wenn Miss Brimley überhaupt etwas
wußte, kaum die Büroklammern bezahlte.
    Die
»Stimme« war um die Jahrhundertwende von dem alten Lord Landsbury gleichzeitig
mit einer nonkonformistischen Tageszeitung und der »Temperenz-Gazette«
gegründet worden. Aber die Tageszeitung und die »Gazette« waren seitdem längst
eingegangen, und Landsburys Sohn war vor nicht so langer Zeit eines Morgens
aufgewacht, um zu erfahren, daß seine ganze Firma, jeder Mann und jede Frau
darin, jedes Möbelstück, die gesamte Tinte, jede Büro- und Setzschiffklammer
mit dem verborgenen Gold von Unipress aufgekauft worden war.
    Das war
vor drei Jahren gewesen, und jeden Tag hatte sie auf ihre Entlassung gewartet.
Aber die kam nie - keine Anweisung, keine Frage, kein Wort. Und da sie eine
vernünftige Frau war,
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