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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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langweiliger Kerl, dachte er;
er erinnerte sich seiner nur undeutlich. Ein jämmerlicher, langweiliger
Engländer.
    »Ein Mann vom Kurierdienst«, sagte
er. »Er war schon im Krieg dabei. Ein ziemlich tüchtiger Mann.«
    »Das sagst du bei jedem. Alle sind
sie tüchtig. Also, wie ist er gestorben? Wie kam er ums Leben?« Sie setzte sich
im Bett auf.
    »Leclerc wartet noch auf näheren
Bescheid.« Avery wünschte, sie würde ihm nicht beim Anziehen zusehen.
    »Und er will, daß du ihm beim
Warten hilfst?«
    »Er will, daß ich ins Büro komme.
Er möchte mich um sich haben. Du erwartest doch nicht von mir, daß ich mich
umdrehe und weiterschlafe, oder?«
    »Ich habe nur gefragt«, sagte
Sarah. »Du bist Leclerc gegenüber immer so rücksichtsvoll.«
    »Taylor gehörte zum alten Stab.
Leclerc ist sehr beunruhigt.« Er konnte noch immer den Triumph in Leclercs
Stimme hören: »Kommen Sie sofort her, nehmen Sie sich ein Taxi; wir gehen die
Akte noch mal durch.«
    »Kommt das denn oft vor? Sterben
oft Leute?« Ihre Stimme klang entrüstet, als erfahre sie nie irgend etwas, als
sei sie die einzige, der Taylors Tod naheging. »Du darfst das niemandem
erzählen«, sagte Avery.
    Damit
hielt er sie in ihren Schranken. »Du darfst nicht einmal erwähnen, daß ich
mitten in der Nacht weg mußte. Taylor reiste unter falschem Namen.« Er fügte
hinzu: »Irgend jemand wird seine Frau verständigen müssen.« Er suchte seine
Brille. Sarah stand auf und zog einen Schlafrock an. »Um Himmels willen, hör
auf! Die Sekretärinnen wissen davon, warum sollen es die Frauen nicht wissen
dürfen? Oder verständigt man sie nur, wenn ihre Männer sterben?« Sie ging zur
Tür.
    Sie war mittelgroß und trug ihr
Haar lang, eine Frisur, die nicht zu ihrem Gesicht paßte. Spannung lag in ihrer
Miene, Angst, beginnende Unzufriedenheit, als werde das Morgen noch schlechter
sein als das Heute. Sie hatten einander in Oxford kennengelernt: ihr
akademischer Grad war höher als der seine. Aber irgendwie hatte sie sich in
der Ehe wieder zurückentwickelt. Wie bei einem Kind war ihre Abhängigkeit zu
etwas Natürlichem geworden: als habe sie Avery etwas Unwiederbringliches
gegeben und verlange es ständig zurück. Ihr Sohn war weniger ihr Geschöpf als
vielmehr ihre Rechtfertigung, und sie benutzte ihn als Schutzwall gegen die
Welt statt als Zugang zu ihr. »Was machst du?« fragte Avery. Manchmal tat sie
Dinge aus bloßem Trotz, wie zum Beispiel neulich, als sie eine Konzertkarte
zerriß. Sie sagte: »Wir haben ein Kind, hast du das vergessen?« Er hörte, daß Anthony
weinte. Sie mußten ihn geweckt haben. »Ich rufe dich vom Büro aus an.« Er ging
zur Eingangstür. Als sie zum Kinderzimmer kam, drehte sie sich um, und Avery
wußte, daß sie nun dachte, er habe ihr keinen Kuß gegeben. »Du hättest beim
Verlag bleiben sollen«, sagte sie. »Das hat dir genausowenig gepaßt.«
    »Warum schickt man dir keinen
Wagen?« fragte sie. »Du hast gesagt, ihr habt eine Unmenge Wagen.«
    »Er wartet an der Ecke.«
    »Warum, um Himmels willen?«
    »Es ist sicherer.«
    »Sicherer wovor?«
    »Hast du
Geld?« fragte er. »Ich glaube, ich bin blank.«
    »Wozu?«
    »Einfach
Geld, nur so! Ich kann nicht ohne einen Penny in der Tasche herumlaufen.« Sie
gab ihm zehn Shilling aus ihrer Handtasche. Er schloß schnell die Tür hinter
sich und ging die Treppe hinunter, auf den Prince of Wales Drive hinaus. Er
ging an den Fenstern der Parterrewohnung vorbei und wußte, ohne hinzusehen, daß
Mrs. Yates ihn hinter dem Vorhang beobachtete, wie sie, mit der Katze im Arm,
Tag und Nacht jeden beobachtete. Es war bitter kalt. Der Wind schien vom Fluß
über den Park herüberzuwehen. Er blickte die Straße hinauf und hinunter, sie
war leer. Er hätte den Taxistandplatz in Clapham anrufen sollen, aber er hatte
es eilig gehabt, aus der Wohnung wegzukommen. Außerdem hatte er Sarah erzählt,
es käme ein Wagen. Er schritt etwa hundert Meter in Richtung des E-Werkes,
änderte dann seine Absicht und ging wieder zurück. Er war müde. Seltsamerweise
kam es ihm so vor, als höre er sogar auf der Straße noch das Telefon läuten. Am
sichersten war es noch, zur Albert Bridge zu gehen. Dort konnte man manchmal zu
den ausgefallensten Zeiten ein Taxi finden. Also ging er wieder am Eingang zu
seinem Haus vorbei, sah zum Kinderzimmer hinauf, und da stand Sarah und schaute
herunter. Sie mußte sich gefragt haben, wo denn der Wagen blieb. Sie hielt
Anthony im Arm, und er wußte, daß sie weinte, weil
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