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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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Frieden.«
    Er zog seine Jacke an, ging zum
Fenster und spähte hinaus. Auf den Dächern lag Schnee. Der Wind pfiff bösartig
über sie hinweg. Er sah in den Hof hinunter, wo die Silhouetten warteten.
    »Wessen Frieden?« fragte sie.
    »Das Licht ging einmal aus,
während ich am Gerät war, nicht?«
    »Tatsächlich?«
    »Nur ganz kurz, eine Sekunde oder
zwei, wie manchmal bei einer Störung im Werk?«
    »Ja.«
    »Mach's jetzt wieder aus.« Er war
sehr ruhig. »Mach das Licht aus.«
    »Warum?«
    »Ich schau gerne auf den Schnee
hinaus.« Sie löschte das Licht, und er zog die verschlissenen Vorhänge zur
Seite. Der Schnee draußen warf einen blassen Schimmer zum Himmel zurück. Im
Zimmer war es fast ganz finster.
    »Du hast gesagt, jetzt würden wir
uns lieben«, beschwerte sie sich. »Paß auf: wie heißt du?« Er hörte das
Rascheln des Regenmantels. »Also wie?« Seine Stimme war rauh. »Anna.«
    »Hör zu,
Anna.« Er ging zum Bett. »Ich möchte dich heiraten«, sagte er. »Als ich dich
traf, in diesem Lokal, als ich dich dort sitzen und den Platten zuhören sah, da
habe ich mich in dich verliebt, verstehst du? Ich bin ein Monteur aus
Magdeburg, das habe ich dir dort gesagt. Hörst du mir zu?«
    Er griff
ihre Arme und schüttelte sie. Seine Stimme klang drängend.
    »Nimm mich
von hier fort«, sagte sie. »Das ist richtig: ich habe dir dort gesagt, ich
würde dich lieben und dich mitnehmen, überallhin in die Länder, von denen du
immer geträumt hast, verstehst du?« Er deutete auf die Plakate an den Wänden.
»Auf Inseln, in sonnige Gegenden.«
    »Warum?«
flüsterte sie.
    »Ich habe
dich hierher begleitet. Du dachtest, ich käme mit, um mit dir ins Bett zu
gehen, aber als ich hier war, zog ich mein Messer heraus und bedrohte dich. Ich
sagte, daß ich dich beim geringsten Laut umbringen würde, wie diesen - ich
erzählte dir, daß ich den Jungen umgebracht hätte und daß ich auch dich töten
würde.«
    »Warum?«
    »Ich mußte
mein Funkgerät benützen. Ich brauchte einen Unterschlupf, klar? Eine
Möglichkeit, das Gerät aufzustellen. Ich wußte ja nicht, wohin ich gehen sollte.
Also habe ich dich aufgelesen und dich benützt. Hör gut zu: wenn sie dich
fragen, dann mußt du es genau so erzählen.«
    Sie lachte. Sie hatte Angst. Sie
legte sich zögernd auf ihrem Bett zurück, eine Aufforderung an ihn, sie zu
nehmen, als wäre es dies, was er wollte. »Wenn man dich fragt, dann erinnere
dich, was ich dir gesagt habe.«
    »Mach mich glücklich. Ich liebe
dich.« Sie streckte ihre Arme aus und zog seinen Kopf an sich heran. Ihre
Lippen waren kalt und klamm. Sie waren zu schmal im Verhältnis zu ihren
kräftigen Zähnen. Er wich zurück, aber sie hielt ihn weiter fest. Er lauschte
angespannt nach einem anderen Geräusch als dem Heulen des Windes, aber er hörte
nichts. »Unterhalten wir uns ein bißchen«, sagte er. »Bist du einsam, Anna? Wen
hast du?«
    »Wie meinst du das?«
    »Eltern, Freunde, irgend jemand.«
Sie schüttelte in der Dunkelheit den Kopf. »Nur dich.«
    »Hör mal, wir wollen deinen Mantel
zuknöpfen. Ich unterhalte mich gerne zuerst. Ich werde dir von London
erzählen. Ich wette, daß du gerne etwas von London hörst. Einmal, als ich
spazierenging - es regnete -, da traf ich einen Mann am Fluß, der im Regen Bilder
aufs Pflaster malte. Komisch, so etwas! Im Regen mit Kreide malen, und der
Regen wäscht es gleichzeitig wieder weg.«
    »Komm jetzt. Komm.«
    »Weißt du,
was er gezeichnet hat? Bloß Hunde, kleine Häuser und solches Zeug. Und die
Leute - hör dir das an, Anna - standen im Regen und schauten ihm zu.«
    »Ich will
dich. Halte mich! Ich hab' Angst.«
    »Hör gut
zu! Weißt du, weshalb ich spazierenging? Man wollte von mir, daß ich mit einem
Mädchen ins Bett gehe. Man hatte mich dazu nach London geschickt, und ich ging
statt dessen im Regen spazieren.«
    Er konnte
erkennen, wie sie ihn beobachtete und nach irgendeinem Instinkt beurteilte, der
ihm unverständlich war.
    »Bist du
auch allein?«
    »Ja.«
    »Warum bist du gekommen?«
    »Die
Engländer sind ein verrücktes Volk! Dieser alte Kerl am Fluß: sie denken, die
Themse sei der größte Fluß der Welt, hast du das gewußt? Dabei ist sie gar
nichts! Nur gerade so ein kleiner brauner Fluß, an manchen Stellen kann man
fast hinüberspringen!«
    »Was war
das für ein Geräusch?« sagte sie plötzlich. »Das kenne ich! Es war ein
Revolver. Das Schloß von einem Revolver!«
    Er hielt
sie fest, um ihr Zittern zu unterdrücken. »Es war
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