Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
Vom Netzwerk:
zerknitterte, besorgte Gesicht eines Clowns,
lächerlich und doch unendlich traurig; ein Gesicht, in dem die Augen blasser
waren als ihre Umgebung. Von den Nasenflügeln führten tiefe Falten zum Mund
hinunter. Vielleicht hatte sich Taylor deswegen einen unansehnlichen
Schnurrbart wachsen lassen, der sein Gesicht wie die Kritzelei auf einer
Fotografie vollends verunstaltete, ohne seine Unzulänglichkeit zu überdecken.
Das Ergebnis war, daß Taylors Erscheinung Mißtrauen einflößte, nicht etwa weil
er ein Halunke gewesen wäre, sondern allein deshalb, weil ihm jegliches Talent
zur Verstellung fehlte. Außerdem hatte er sich gewisse, einem längst
vergessenen Original abgeschaute Gesten zugelegt, wie zum Beispiel die
verwirrende Gewohnheit, plötzlich den Rücken nach Soldatenart zu straffen, als
habe er sich in einer unziemlichen Haltung überrascht. Dazu gehörte es auch,
wenn er durch Bewegungen der Knie und Ellbogen vage andeutete, daß er den
Umgang mit Pferden gewohnt war. Dennoch hatte sein Auftreten eine gewisse
schmerzliche Würde, als kämpfe sein kleiner Körper gegen einen grausamen Sturm.
    »Wenn Sie
schnell gehen«, sagte sie, »sind es nicht einmal zehn Minuten.«
    Taylor
haßte es, zu warten. Er glaubte, daß Leute, die warten, kein Rückgrat besäßen.
Er empfand es als Schande, beim Warten gesehen zu werden. Er schürzte die
Lippen, schüttelte den Kopf, und schritt mit einem verdrießlichen >Gute
Nacht, meine Dame< geradewegs in die eisige Kälte hinaus. Taylor hatte noch
nie einen Himmel wie diesen gesehen. Er wölbte sich ohne Begrenzung zu den
schneebedeckten Feldern herunter, und seine Unerbittlichkeit wurde nur hie und
da von einzelnen Nebelschleiern unterbrochen, die einen Hof um den weißen Mond
legten und das Licht der Sterne vereisten. Taylor empfand die gleiche Angst,
die einen Binnenländer beim Anblick der See befällt. Er beschleunigte seinen
unsicheren, schwankenden Schritt. Er war ungefähr fünf Minuten gegangen, als
das Auto ihn einholte. Es gab keinen Fußweg neben der Fahrbahn. Zuerst
bemerkte er nur die Scheinwerfer, weil der Schnee das Geräusch des Motors
verschluckte, und er begriff nur, daß die Gegend vor ihm beleuchtet war, ohne
zu wissen, woher das Licht kam. Der matte Schein wanderte gemächlich über die
Schneelandschaft, und eine Zeitlang glaubte Taylor, es sei der Scheinwerfer
vom Flughafen. Dann sah er, daß sich sein eigener Schatten auf der Straße
verkürzte; das Licht wurde plötzlich heller, und er begriff, daß es ein Auto
sein mußte. Er ging auf der rechten Seite und schritt flink an der Kante des
vereisten Straßenrandes aus. Er stellte fest, daß das Licht ungewöhnlich gelb
war, und vermutete, daß es französische Scheinwerfer waren. Diese kleine
Schlußfolgerung erfüllte ihn mit großer Genugtuung: sein Verstand war trotz allem
noch ziemlich klar.
    Er blickte
nicht über die Schulter, weil er auf seine Art schüchtern war und nicht den
Eindruck erwecken wollte, er wünsche mitgenommen zu werden. Aber ihm fiel ein,
vielleicht ein bißchen spät, daß man auf dem Kontinent rechts fuhr und er
genaugenommen auf der falschen Straßenseite ging, und daß er etwas dagegen tun
müßte.
    Das Auto
erfaßte ihn von hinten; es brach ihm das Rückgrat. Einen fürchterlichen
Augenblick lang verkörperte Taylor den klassischen Ausdruck des Schmerzes:
Kopf und Schultern gewaltsam nach hinten geworfen, die Finger gespreizt. Er
schrie nicht. Es hatte den Anschein, als konzentrierten sich Körper und Seele
auf diese letzte Darstellung des Schmerzes, die im Tode ausdrucksvoller war
als irgendein Laut, den er im Leben je von sich gegeben hatte. Das Auto
schleifte ihn einige Meter weit mit und warf ihn dann zur Seite, tot auf die
leere Straße: ein steifer, zerstörter Körper am Rande der Einöde. Dann erfaßte
ein plötzlicher Windstoß den neben ihm liegenden Hut und trug ihn über den
Schnee. Die Fetzen seines Wettermantels flatterten im Wind und haschten
vergeblich nach der Zinkkapsel, während sie langsam zum gefrorenen Straßenrand
rollte, um dann müde über die Kante des Abhanges zu verschwinden.
     
    Zweiter Teil
     
    AVERYS EINSATZ
     
    »Es gibt
Dinge, die von einem weißen Mann zu verlangen, niemand das Recht hat.«
     
    JOHN BUCHAN, »MR. STANDFAST«
     
    2. Kapitel
     
    VORSPIEL
     
    Es war drei Uhr morgens.
    Avery legte den Hörer auf, weckte
Sarah und sagte: »Taylor ist tot.« Er hätte es ihr natürlich nicht sagen
dürfen.
    »Wer ist Taylor?«
    Ein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher