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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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Der
Unteroffizier sah auf seine Hände hinunter. »Sie wollen ihn doch lebend.«
    »Was sollen wir sonst tun?«
beharrte der Hauptmann. »Können Sie mir das verraten?«
    »Man muß dafür sorgen, daß er
sendet. Das ist das wichtigste. Und daß er in Kalkstadt bleibt.«
    »Ja, und?«
    »Wir müssen schnell sein«, meinte
der Unteroffizier. »Ja, und?«
    »Sie
sollten ein paar Einheiten in die Stadt bringen.
    Was Sie
gerade auftreiben können. So schnell wie möglich. Panzer, Infanterie, ganz
gleich was. Schaffen Sie Bewegung. Machen Sie ihn aufmerksam. Aber seien Sie
schnell!«
    »Ich werde
gleich gehen«, sagte Leiser. »Behalte mich nicht hier. Gib mir Kaffee, und ich
werde gehen.«
    »Kaffee?«
    »Ich habe Geld«, sagte Leiser, als
sei das das einzige, was er habe. »Hier.« Er kletterte aus dem Bett, holte die
Brieftasche aus seiner Jacke und zog einen Hundertmarkschein aus dem Bündel.
»Behalte das.« Sie nahm die Brieftasche und leerte sie leise lachend auf die
Bettdecke aus. Sie hatte eine täppische, katzenhaft verspielte Art, die nicht
ganz normal wirkte, und den schnellen Instinkt einer Ungebildeten. Er betrachtete
sie unbeteiligt, während seine Finger über ihre nackte Schulter strichen. Sie
hielt das Bild einer Frau hoch, eine Blondine mit rundem Gesicht. »Wer ist das?
Wie heißt sie?«
    »Sie existiert gar nicht.«
    Sie entdeckte die Briefe und las
einen davon laut vor. Bei den leidenschaftlichen Stellen lachte sie laut. »Wer
ist das?« bohrte sie weiter. »Wer ist sie?«
    »Ich sage dir doch, daß es sie gar
nicht gibt.«
    »Dann kann ich die Briefe
zerreißen?« Sie hielt einen der Briefe mit beiden Händen vor ihm hoch und tat
so, als wolle sie ihn zerreißen, während sie auf seinen Protest wartete. Leiser
sagte nichts. Sie riß ein Stück ein und beobachtete ihn noch immer, dann zerriß
sie das Blatt, dann noch eines und noch eines. Sie stieß auf das Bild eines
Kindes, eines Mädchens mit Brille, vielleicht acht oder neun Jahre alt, und wieder
fragte sie: »Wer ist das? Ist das dein Kind? Gibt's dieses Mädchen?«
    »Nein. Das
ist niemand. Niemandes Kind. Bloß ein Foto.« Sie zerriß auch das und verstreute
die Schnitzel mit großer Gebärde über das Bett. Dann warf sie sich über ihn
und küßte ihn auf Gesicht und Hals. »Wer bist du? Wie heißt du?« Er wollte es
ihr gerade sagen, als sie ihn zurückstieß. »Nein«, rief sie schnell. »Nein!«
Sie senkte die Stimme. »Ich will dich ohne irgend etwas. Ganz allein. Nur du
und ich. Wir werden unsere eigenen Namen erfinden, unsere eigenen Gesetze.
Niemand sonst, überhaupt niemand. Kein Vater, keine Mutter. Wir drucken unsere
eigene Zeitung, unsere Pässe, unsere Marken. Wir machen uns unsere eigenen
Menschen.« Sie flüsterte jetzt, und ihre Augen leuchteten. »Du bist ein
Spion«, sagte sie mit den Lippen an seinem Ohr. »Ein Geheimagent. Du hast eine
Pistole.«
    »Ein
Messer macht weniger Lärm«, sagte er. Sie lachte sich darüber halbtot, bis sie
die blauen Flecken auf seinen Schultern entdeckte. Sie berührte sie neugierig
und respektvoll, wie wohl ein Kind etwas Totes berühren würde.
    Sie
verließ die Wohnung mit dem Einkaufskorb in der Hand, den Regenmantel hielt sie
immer noch am Hals zusammen. Leiser zog sich an, rasierte sich - es gab nur
kaltes Wasser -, und starrte sein zerfurchtes Gesicht in dem zersprungenen
Spiegel über dem Becken an. Als sie zurückkam, war es beinahe Mittag, und sie
sah besorgt aus.
    »Die Stadt
ist voll mit Soldaten. Und Militärlastwagen.
    Was wollen
die hier?«
    »Vielleicht
suchen sie nach jemandem.«
    »Sie
sitzen nur herum und trinken.«
    »Was sind
das für Soldaten?«
    »Ich weiß
nicht. Russen. Woher soll ich das wissen?«
    Er ging
zur Tür. »Bin in einer Stunde zurück.«
    Sie sagte:
»Du willst nur von mir weglaufen.« Sie hielt ihn am Arm, sah zu ihm auf, im
Begriff, eine Szene zu machen.
    »Ich komme zurück. Vielleicht erst
später. Vielleicht heute abend. Aber wenn ich komme.«
    »Ja?«
    »Es wird gefährlich sein. Dann muß
ich, ich muß hier etwas tun. Etwas sehr Gefährliches.« Sie küßte ihn. Es war
ein leichter, einfältiger Kuß. »Ich mag die Gefahr.«
    »Vier
Stunden noch«, sagte Johnson. »Falls er noch lebt.«
    »Natürlich
lebt er«, sagte Avery ärgerlich. »Warum reden Sie solches Zeug?« Haldane
mischte sich ein. »Seien Sie kein Esel, Avery. Es ist ein technischer Ausdruck.
Tote oder lebende Agenten. Es hat nichts mit seinem physischen Zustand zu
tun.« Leclerc trommelte
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