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Carre, John le

Carre, John le

Titel: Carre, John le Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Krieg im Spiegel (Smiley Bd 4)
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Tannennadeln und moderndem
Laub, wie er merkte. Er kratzte den halb getrockneten Lehm von seiner Hose und
zog das andere Paar Schuhe an. Er ging hinunter, um jemanden zu suchen, bei dem
er bezahlen konnte, und die neuen Schuhe quietschten auf den Stufen der
Holztreppe. Er fand eine alte Frau, die eine weiße Schürze trug und Linsen
auslas, während sie zu einer Katze sprach. »Was bin ich schuldig?«
    »Daß Sie den Meldezettel
ausfüllen«, sagte sie säuerlich. »Das ist das erste, was Sie schuldig sind.
Sie hätten es schon tun sollen, als Sie ankamen.«
    »Tut mir leid.«
    Sie fuhr
ihn an, unterdrückt, da sie nicht wagte, die Stimme zu heben: »Wissen Sie
nicht, daß es verboten ist, sich in einer Stadt aufzuhalten, ohne sich bei der
Polizei zu melden?« Sie blickte auf seine neuen Schuhe hinunter. »Oder sind Sie
so reich, daß Sie glauben, das habe für Sie keine Geltung?«
    »Tut mir
leid«, sagte Leiser noch einmal. »Geben Sie den Zettel her, und ich fülle ihn
aus. Ich bin nicht reich.«
    Die Frau wurde still, während sie
emsig weiter in den Linsen herumstocherte. »Woher kommen Sie?« fragte sie dann.
»Osten«, sagte Leiser. Er meinte Süden, von Magdeburg, oder Westen, von
Wilmsdorf. »Sie hätten sich gestern abend anmelden müssen. Jetzt ist es zu
spät.«
    »Was habe ich zu zahlen?«
    »Sie können nicht zahlen«,
erwiderte die Frau. »Macht nichts. Sie haben den Zettel nicht ausgefüllt. Was
werden Sie sagen, wenn man Sie fragen sollte?«
    »Daß ich bei einem Mädchen war.«
    »Es schneit
draußen«, sagte die Frau. »Geben Sie auf Ihre hübschen Schuhe acht.«
    Harte
Schneekörnchen trieben verloren vor dem Wind her und sammelten sich in den
Fugen zwischen den schwarzen Pflastersteinen oder blieben in den Stuckverzierungen
an den Hauswänden hängen. Es war ein grauer, nutzloser Schnee, der sich dort,
wo er hinfiel, bald auflöste.
    Leiser
überquerte den Friedensplatz und sah ein neues gelbes Gebäude, das sich auf
einem öden Grundstück sechs oder sieben Stockwerke hoch erhob. Auf den
Balkonen hing Wäsche, mit einer dünnen Schicht Schnee bedeckt. Im Treppenhaus
roch es nach Essen und Heizöl. Die Wohnung war im dritten Stock. Er konnte das
Geschrei eines Kindes und das Dudeln eines Radios hören. Einen Augenblick lang
überlegte er, ob er nicht umkehren und weggehen sollte, da er eine Gefahr für
sie war. Er drückte zweimal auf die Klingel, wie es das Mädchen ihm gesagt
hatte. Sie öffnete schlaftrunken die Tür. Über das baumwollene Nachthemd hatte
sie ihren Regenmantel gezogen und hielt ihn am Hals zu, um sich vor der
beißenden Kälte zu schützen. Als sie Leiser sah, zögerte sie, als wüßte sie
nicht, was sie tun sollte, als bringe er schlechte Nachrichten. Er sagte
nichts, sondern stand nur da, mit dem leise hin und her schwingenden Koffer in
der Hand. Sie machte eine einladende Bewegung mit dem Kopf, und er folgte ihr
durch den Flur zu ihrem Zimmer, wo er Koffer und Rucksack in eine Ecke abstellte.
    An den
Wänden hingen Werbeplakate von Ferienzielen: Bilder von Wüsten, Palmen und dem
Mond über der tropischen See. Sie legten sich ins Bett, und sie deckte ihn mit
ihrem schweren Körper zu. Sie zitterte ein wenig, denn sie hatte Angst. »Ich
möchte schlafen«, sagte er. »Laß mich erst mal schlafen.«
    Der
russische Hauptmann sagte: »Er hat in Wilmsdorf ein Motorrad gestohlen und am
Bahnhof nach Pritsche gefragt. Was wird er jetzt unternehmen?«
    »Er wird
wieder senden. Heute abend«, antwortete der Unteroffizier, »falls er etwas hat,
was er mitteilen kann.«
    »Um die
gleiche Zeit?«
    »Gewiß
nicht. Auch nicht die gleiche Frequenz. Noch von der gleichen Stelle.
Vielleicht geht er nach Wismar oder Langdorn oder Wolken; womöglich sogar nach
Rostock. Oder er bleibt in Kalkstadt, geht in ein anderes Haus. Oder er sendet
überhaupt nicht.«
    »In ein
Haus? Wer wird schon einen Spion beherbergen?«
    Der
Unteroffizier zuckte mit den Schultern, als wolle er andeuten, daß er selbst
dazu fähig wäre. Gekränkt fragte der Hauptmann: »Woher wissen Sie, daß er aus
einem Haus sendet? Warum nicht im Wald oder auf dem Feld? Woher wollen Sie das
so genau wissen?«
    »Es ist
ein kräftiges Signal. Ein sehr starker Sender. Soviel Energie könnte er aus
einer Batterie nicht entnehmen. Nicht aus einer, die er allein mit sich herumschleppen
kann. Er benützt den Netzanschluß.«
    »Riegeln
Sie die Stadt ab und durchsuchen Sie jedes Haus«, sagte der Hauptmann.
    »Wir wollen ihn lebend.«

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