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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition)
Autoren: Andy Marino
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erneut seine Hand entgegen.
    »Bitte, Ambrose«, sagte Martin, »rette deinen Verstand. Akzeptiere die Freundschaft, und wir bereiten sofort das Labor für die Kalibrierung vor.«
    »Und was passiert dann?«, fragte Ambrose.
    Sein Zwilling sah verwirrt aus und wandte sich an Martin. »Hat man ihm denn keine umfassenden Instruktionen gegeben?«
    »Das braucht dich nicht zu kümmern«, sagte Martin. Die Pflanze war inzwischen bloß noch ein Haufen aus braunen Blättern, vermischt mit der zähflüssigen Lache auf dem Boden. Der Bilderrahmen war leer. »Das Einzige, was im Moment zählt, ist deine Freundschaft.«
    »Ambrose, du und ich werden den Bund zwischen unseren Realitäten auf dieser Seite des Tores besiegeln«, erklärte Ambrose 47. »Die beiden Annas werden dasselbe auf der anderen tun.«
    »Ich liebe dich, Ambrose«, sagte Martin.
    »Es ist eine Ehre, den Fortbestand des Tores zu sichern«, fuhr Ambrose 47 fort. »Wir werden unseren Teil zur größten prognostizierten Gewinnmarge der UniCorp-Geschichte beitragen.«
    »Den Fortbestand des Tores zu sichern?« Ambrose blickte auf Martin, der inzwischen wieder vor seinem Schreibtisch stand. »Du hast uns gebaut, damit wir so eine Art lebendiges Portal werden?«
    »User-Profildaten sind flüchtig und instabil«, antwortete Ambrose 47. »Wir aber sind fähig, sie zu kontrollieren.«
    »Das reicht«, sagte Martin und machte einen Schritt auf sie zu.
    »Unsere DNS ist entsprechend verstärkt worden, um in beiden Welten zu existieren«, sagte Ambrose 47 stolz, »und eine geradezu fantastische Menge an Energie zu absorbieren.«
    »Du bist ein Mensch, Ambrose«, sagte Martin. »Du bist mein Sohn.«
    »Wenn ihr das einen Moment unter vier Augen besprechen wollt, würde ich ganz gern ausflimmern«, sagte Ambrose 47. »Ich werde selbstverständlich deinen leibhaftigen Körper brauchen, Ambrose.«
    »Klar«, sagte Ambrose. »Er liegt in Stasis neben Martins.«
    Ambrose 47 wirkte verblüfft. »In der Genfarm?«
    Martin schlug Ambrose 47 mit dem Handrücken ins Gesicht.
    Ambrose presste seine Handflächen aufeinander.
    Zurück in dem Erdloch mit Lens UniCorp-Sicherheitswagen, versetzte Ambrose der lehmigen Wand einen Tritt. Scham und Wut schwemmten glühend durch seine Adern. Er fühlte sich wie der armseligste aller Tetra-Jack-Loser, einer, der ein ums andere Mal von weitaus scharfsinnigeren Spielern geschlagen und gedemütigt wird und doch immer wiederkommt und sich die nächste Tracht Prügel abholt, weil er jedes Mal aufs Neue glaubt, diesmal
packt
er’s. Die Level-Sieben-Prozedur war Martins Trumpfkarte gewesen, und er hatte sie so clever ausgespielt, dass Ambrose förmlich darum gebettelt hatte, sich unter den Laser zu legen.
    Er sprang ins Auto. Die Decke des unterirdischen Raums glitt beiseite und gab den Blick frei auf ein perfektes Quadrat schieferfarbener nördlicher Abenddämmerung. Er steuerte den Wagen aus dem Erdloch hinaus und jagte über die Ebenen längs des Waldes. Blind vor Zorn gab er Vollgas. Kiefern wischten vorbei. Am Himmel waberten geisterhafte Klauen in tiefem Rot und Orange umher. Um sämtliche unerwünschten Trugbilder aus seinem Kopf zu verbannen, dachte er an Mistletoe und fragte sich, ob sie wohl tatsächlich die Freundin dieser anderen Anna geworden war. Unwillkürlich hatte er ein Bild vor Augen, wie sich unter ihrer Haut Profildaten kräuselten wie schleimige parasitische Würmer.
    Er dachte an das, was er tun würde, sobald er seinen Vater gefunden hätte –
Martin
, schrie er sich an und schlug mit der Hand durch den Schimmer der Kontrollanzeige am Armaturenbrett. Er hoffte inständig, dass er genug Mumm hätte, um die Sache durchzuziehen.
    Dann vertrieb er alle Gedanken und konzentrierte sich auf die Hochgeschwindigkeitsfahrt in Richtung des lichterglänzenden Agrarbezirks am Rand der New England Expansion. Er verdunkelte die Frontscheibe, um das Gleißen der terrassierten Gewächshäuser abzumildern, die wie Wasserfälle an den Seiten der Atmoscraper hinabstürzten. Als er das periphere Verkehrsnetz erreichte, fädelte er sich auf der untersten Ebene ein und steckte sofort hinter einer Kolonne projektilförmiger Milchtransporter fest. Er ließ sich von der automatischen Koordinierung ein paar Blocks näher ans Zentrum gondeln, dann schaltete er die Auftriebe ein und stieg in die obere Verkehrsader auf. Er fuhr an langen, grasbewachsenen Balkonen vorüber, auf denen wie Tupfen hier und da Gruppen von Kühen schliefen, dann bog er ab und
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