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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition)
Autoren: Andy Marino
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Ja. Okay. Ich verstehe.
Ma buh.
«
    Durchs Plexiglas blickte er nach draußen, aschfahl im Gesicht, und schien sie nicht zu sehen. Sie winkte. Irgendwas stimmte nicht. Sie öffnete die Tür.
    »Jiri?«
    Seine Augen blitzten auf sie herab. »Komm rein. Mach die Tür zu. Bleib hier.«
    »Was ist los?«
    »Bleib hier drin, Anna.« Er wirkte derart verstört, dass sie sich nicht die Mühe machte, ihn zu korrigieren, ihm bloß dabei zusah, wie er sich in seinen Mantel zwängte und nach der Prä-Unison-Handfeuerwaffe in seiner Tasche tastete. Er dachte, sie wisse nichts von der Pistole, dabei tätschelte er sie ständig durch den Mantelstoff. »Bin nachher wieder da.«
    »Wo gehst du hin?«
    »Erklär ich dir später.« An der Tür drehte er sich noch einmal zu ihr um, öffnete den Mund, zögerte. »Falls ich …«
    »Was?«
    »Mistletoe. Vergess ich immer. Bleib hier drin. Ich seh dich nachher.«
    Die Tür fiel hinter ihm ins Schloss, und sie horchte auf das Brummen des Aufzugs, das im Schacht abwärts verklang. Sie lief auf den Balkon und entdeckte in der Menge den glänzenden Punkt seines kahlen Schädels. Er ging zu Fuß. Also war es nicht weit. Sie beobachtete, wie er sich durch ein Trio gelb und orange bemalter Zigeuner drängte und einen der Männer in die ungeordnete Prozession der Buggys und Scooter stieß, die sich im Schneckentempo Tag und Nacht durch die Straßen schob. Hier unten deaktivierten die meisten Leute ihre Verkehrsalarme, doch manche ließen sich leider nur schwer zum Schweigen bringen, sodass Little Saigon ständig erfüllt war von sanften Ermahnungen in tausend Sprachen, man solle
langsam und vorsichtig fahren
, als könnte man in den verstopften Straßen je irgendwo Gas geben. Kurz schaute sie hinüber zu Nelson, dann wandte sie sich wieder dem Geschehen unter ihr zu, gerade noch rechtzeitig, um Jiri am Ende des Blocks hinter einem Barackenhaufen verschwinden zu sehen, nahe dem überfüllten Zubringer, über den reprogrammierte KI -Transporter irgendwelches Gerümpel für die Schrottlords beförderten. Noch ein paar Sekunden, und sie würde ihn endgültig aus dem Blick verlieren.
    Sie griff nach der orangeroten Schutzbrille an ihrem Hals und setzte den Saugmechanismus an ihre Augen. »Auf gar keinen Fall bleiben wir hier, Nelson.«
    Ihr Scooter war kalt, trotzdem warf sie ihn an und sprang auf, ließ ihre Hände durch die Riemen am Lenker gleiten und öffnete mit dem Fuß eine Falltür im Balkonboden. Sie hatte Nelson schon öfter auf dem Weg nach unten warmlaufen lassen – nicht gerade schlau, aber durchaus machbar. Sie spürte das weiche Energiepolster unter sich, als die Ionen-Auftriebe surrend zum Leben erwachten. Der Motor stotterte, hatte aber noch nicht richtig gezündet, als sie die Nase durch die Falltür neigte. Die Auftriebe hielten sie nur knapp auf Abstand zu den Dächern ihrer Nachbarn, während sie den steilen Hüttenstapel hinab halb fuhr, halb stürzte. Eine Frau beim Wäscheaufhängen duckte sich, als der Scooter mit seiner Nase ein paar weiße Shirts von der Leine riss und über die darunterliegenden Hütten verstreute.
    »Aufpassen!«, schrie Mistletoe über die Schulter. Dann entfalteten die Auftriebe ihre volle Kraft, und sie spürte, wie das Polster sich unter ihr ausdehnte. Kurz vor dem Fuß des Hüttenstapels zog sie die Nase über der dicht befahrenen Straße nach oben und versetzte der Seite des Scooters einen schnellen, harten Tritt. Die statische Elektrizität ließ büschelweise Haare zu Berge stehen, als sie über den Köpfen der Leute dahinschwebte. Dann sprang der Motor an, und sie jagte abwärts auf zwei torkelnde Säufer zu, deren Shirts mit grünen Absinthflecken übersät waren. Sie bremste hart, duckte sich unter ihren ausgestreckten Armen hindurch und schlitterte um die Straßenecke, ohne auf das Gezeter zu achten, sie solle zurückkommen. Während sie den Zubringer entlangfuhr, merkte sie plötzlich, dass ihre altersschwache Maschine inmitten der schaurigen Lautlosigkeit der Schrotttransporter wie Donnergrollen tönte. Die älteren Modelle machten zwar noch Geräusche, doch weil alles Fluchen und Brüllen und Lachen fehlte, lag über dem ganzen Straßenzug – Little Saigons Randbezirk – etwas bedrückend Trostloses, das sie völlig aus der Fassung brachte. Und Jiri war nirgends zu sehen.
    Vielen Dank für Ihre Arbeit!
, sagte einer der Transporter.
    Gebt Acht auf den Ball, Kinder!
, sagte ein anderer.
    Mistletoe schauderte. Behutsam und sacht glitt sie
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