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Carpe Somnium (German Edition)

Carpe Somnium (German Edition)

Titel: Carpe Somnium (German Edition)
Autoren: Andy Marino
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hier?
    Ambrose warf einen kurzen Blick zurück über die Wiese. Sein Vater stand plaudernd neben dem Genfarm-Manager und deutete gerade auf die zentrale Bewässerungskammer, einen schimmernden Zylinder, der wie ein Stachel bis ganz nach oben mitten im Gebäude steckte. Die Männer waren in ihr Gespräch vertieft und außerdem zu weit weg, um irgendetwas Ungewöhnliches zu bemerken. Er zögerte noch ein paar Sekunden, dann griff er nach hinten und kickte die Murmel durch das Loch, indem er mit der flachen Hand kräftig gegen das Plexiglas schlug. Die Murmel flog hinaus in den leeren Raum, trudelte, hing für eine Millisekunde wie erstarrt in der Luft und verschwand, ehe die Jungen ihren Fall verfolgen konnten. Das Plexiglas verhinderte, dass sie sich zu weit hinauslehnten.
    Len ergriff die Schulter seines Bruders und schaute sehr ernst.
    Was hast du getan?
    Lass das, Len.
    Was, wenn du –
    Halt die Klappe!
    Wir sind dermaßen weit oben, das Ding wird Feuer fangen und jemandem den Schädel zerfetzen – vielleicht ja sogar einer ganzen Familie, einfach so …
Len legte die Hände an seine Schläfen und riss sie dann jäh zur Seite.
Ppgggggkkkkkkk!
    Ambrose biss sich auf die Lippe und spähte flüchtig über den Rand. Sie waren gerade mal gut hundert Stockwerke hoch. Sicher nicht hoch genug, um …
    Len kicherte.
Lass uns zurückgehen.
    Aber –
    Sie haben heute gute Arbeit geleistet, Soldat. Ich werde persönlich an höherer Stelle über Sie berichten und Sie für die Tapferkeitsmedaille sowie eine Beförderung aus der Podcast-Truppe vorschlagen.
    Len drehte sich um und rannte zurück über die taufeuchte Wiese. Ambrose rief
Hey!
und versuchte, ihn einzuholen, doch Len blieb ihm, wie immer, ein paar Schritte voraus.
    An seinem Schlafzimmerfenster stehend, merkte Ambrose, dass er die Stirn gegen das Glas presste. Es spielte keine Rolle, ob ein Ereignis aus seiner kurzen Kindheit ihm Spaß oder Angst gemacht hatte; ein Teil von ihm wollte es immer und immer wieder erleben, es gegen seine umfangreicher werdenden Erwachsenenpflichten vor sich aufstapeln wie altmodische Kasinojetons. Nicht ohne Grund waren seine wenigen Freunde alle in den Zwanzigern: Kein anderer in seinem Alter konnte nachempfinden, was es hieß, tagtäglich unter Hochdruck wichtige Entscheidungen für ein Unternehmen zu treffen.
    Außerdem waren da seine Träume: fiebrige Odysseen, aus denen er keuchend und matt erwachte. Er konnte sich nicht schnell genug vor ihnen in Sicherheit bringen. Und sie wurden schlimmer: lebhaft, detailreich, allnächtlich wiederkehrend in den Wochen vor der heutigen Prozedur. Sein Vater behauptete, es liege am Schlafzentrum in seinem Gehirn, das seinen Tod vorausahne und noch alle Register ziehe, bevor man es in die Nichtexistenz schicke, wie man ein Licht ausknipse.
    Er legte die Handfläche sanft auf seine Synth-Tafel, ein glattes silbriges Tablett, das neben dem Fenster aus der Wand ragte.
    »Zimttoast«, sagte er.
    In der nächsten Sekunde sprang der Tablettdeckel lautlos auf und zum Vorschein kam eine Scheibe perfekt gebutterter BetterToast, deren Oberseite gleichmäßig mit Zimt bestreut war. Ambrose griff danach und mampfte gierig, während er mit der Handfläche seinen begehbaren Wandschrank öffnete. UniCorps BetterFood (Ein kleiner Unison-Vorgeschmack in der realen Welt!) bot köstliche Simulationen, angereichert mit passenden Nährstoffen und ergänzt um ein Sinnestäuscher-Tag, das dem Magen vorgaukelte, er wäre voll. Wegen dieser Zusätze war BetterFood viel gesünder als echte Nahrung, verdarb nicht und schmeckte niemals anders, als man es erwartete.
    Ambrose schlang mit schnellen Bissen seinen Toast herunter und wischte sich die Krümel von der Brust. Der Partikelsublimator in der Filtereinheit seines Schlafzimmers verdampfte sie, noch ehe sie auf den Boden fielen. Er dachte an seine Murmel, die über den Rand der Milchfarm gefallen war, und fragte sich, ob der Stadtrat von Eastern Seaboard City (dem sein Vater angehörte) wohl jemals Großsublimatoren installieren würde, um herabstürzenden Abfall zu pulverisieren, bevor er den Sphärenschild durchschlug und unten in Little Saigon oder Rio  II ein paar Dutzend Leute tötete. Ein sofortiger Process Flow verriet ihm, dass es das Geld nicht wert war, aber dennoch …
    Er betrat den Wandschrank, in dem ein einzelner schwarzer Temperfoam-Skinsuit ordentlich auf einem Bügel hing. Er tippte mit der Handfläche auf den Anzug, um das schier unüberschaubare
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