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Capitol

Capitol

Titel: Capitol
Autoren: Orson Scott Card
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verloren hat.«
    Wer ist jener letzte? Ich war damals der jüngste – werde ich es deshalb sein, der das Ende erlebt?
    Dann mußte er selbst über sich lachen. Die Tatsache, daß er der jüngste war, spielte kaum eine Rolle. Wichtig war nur seine besonders hohe Somec-Ebene – ein Jahr Wachen, zwölf Jahre Schlaf war sein jetziger Stand –, und er würde mit Sicherheit alle anderen überleben. Aus Neugier holte er die Biographien der Mitglieder, die bei Amblicks Tod noch gelebt hatten, auf den Schirm. Sie waren alle gestorben.
    Alle? Bestürzt erinnerte er sich daran, daß seine Eltern ebenfalls Somec genommen hatten, als ihm selbst das Privileg eingeräumt wurde, und das natürlich auf der gleichen Ebene wie er. Sie konnten subjektiv noch keine sechzig Jahre alt sein. Gewiß lebten auch sie noch.
    Aber ihre Biographien konnten nicht falsch sein.
    Er las sie. Seine Eltern waren nicht auf Capitol gestorben. Vor einem Jahrhundert waren sie gemeinsam auf ein Kolonialschiff gegangen und hatten Somec freiwillig aufgegeben. Sie hatten die Unsterblichkeit aufgegeben, und zu der Zeit, da Stipocks neue Geräte zur Planetenanalyse in Gebrauch genommen wurden, waren sie in den Raum hinausgegangen, um sich auf einem neuen Planeten niederzulassen.
    Garol wußte, daß sie Somec nur aus einem einzigen Grund aufgegeben hatten. Außer denen, die eines Verbrechens überführt wurden, ging niemand, dem eine hohe Somec-Ebene zugestanden war, in die Kolonien – nur Versager und verzweifelte Nichtschläfer gaben freiwillig und für immer die Hoffnung auf, Somec zu bekommen.
    Garols Eltern hatten ihre Ansicht geändert. Sie waren wieder gläubig geworden. Sie hatten auf Somec und alle Sünden Capitols verzichtet und waren an einen Ort gegangen, wo keine dieser Sünden möglich war.
    Sie waren vor über einem Jahrhundert abgereist, und deshalb führte der Computer sie als verstorben auf, obwohl sie sich in Wirklichkeit immer noch im Raum befinden mochten, weil ihr Einsatzort sehr weit entfernt lag. Nach der Landung würden sie allerdings bei harter Arbeit und vielleicht häufig unter Gefahren ihr normales Leben zu Ende leben. Hunderte von Jahren bevor ihre Kolonie sich für Somec qualifizierte, würden sie dann sterben.
    Carol war tatsächlich das letzte Mitglied der Kirche der Unsterblichen Stimme, das auf Capitol noch lebte. Und die Prophezeiung richtete sich an ihn.
     
    *
     
    Garol Stipock konnte nicht schlafen. Seine Kindheitserinnerungen kannten kein Erbarmen: sie hielten ihn wach und erfüllten ihn mit Angst und Unruhe. Ihm wurde abwechselnd heiß und kalt.
    Er stand vom Bett auf. Er nahm ein Handtuch, bedeckte sich damit den Kopf und kniete sich hin. Dann begann er, mit Gott zu reden. Er sprach die Worte, die er in der Kindheit gelernt hatte, und weil er müde war, überwand er das Gefühl, daß er sich albern verhielt, war er doch Wissenschaftler und wußte er es doch besser. Mit Amblicks Stimme hatte Gott direkt zu ihm gesprochen; und nun sollte die Stimme ihm sagen was zu tun war.
    »Es ist sinnlos«, sagte er immer wieder. »Ich kann nichts erreichen. Was kann ich nur tun?«
    Und weil er müde war, war er nicht überrascht, als die Stimme zu ihm sprach. Er wußte, daß es Amblicks Stimme war, die er hörte; aber er spürte dennoch hinter der ihm vertrauten Stimme, die Stimme, die er nicht kannte, und sie sprach zu ihm voller Inbrunst und hallte in ihm wider.
    »Alles, was du getan hast, ist wertlos«, sagte die Stimme.
    Stipock versank in tiefe Verzweiflung.
    »Ich habe es aufgegeben mit den Menschen zu reden und zu versuchen, sie zu überzeugen. Sie waren zu klug. Sie wollen nicht auf mich hören.«
    Aber ich werde hören, rief Stipock in seiner Verwirrung.
    »Du am allerwenigsten«, sagte die Stimme. »Gott ist verstummt, und deshalb glauben die Menschen, daß er tot ist, aber das ist nicht wahr. Die Unsterbliche Stimme spricht nicht mehr, aber nur weil das niemals schlafende Schwert aus der Scheide gezogen wurde. Wenn die Menschen bereut hätten, hätte ich sie geschont; aber sie wollten die Früchte vom Baum des Lebens essen, ohne zu wissen, daß diese Früchte zu kosten den Tod näher bringt. Das Ende ist nahe. Das Ende wird bald kommen. Aber nichts, was du tun kannst, wird das Ende um eine Stunde oder einen Tag beschleunigen oder aufschieben.«
    Stipock empfand die Worte wie Hiebe, und die Wut der Stimme schmerzte ihn so sehr, daß er weinte: um die Menschheit, die alle Hoffnung auf Gnade verloren hatte, um sich
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