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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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Sie sich an Fotos von ihr erinnern – groß und kräftig wie ein Carabiniere, auch als alte Frau noch –, wer weiß, wie sie als junge Frau ausgesehen hat, dunkel wie sie war. Jedenfalls als er wieder und wieder vorbeikam, fing mein Großvater an, ihr Schmeicheleien zu sagen. Und sie wurde erst rot, doch dann gab sie ihm gehörig Bescheid. Um eine Antwort war sie nie verlegen. Großvater war aber auch ein fescher Bursche, dort auf seinem Wagen; blond, breite Stirn, dichter Schnurrbart, immer die Zigarre im Mund. Die Brüder meiner Großmutter waren dagegen. »Hat und kann nichts.« Wie um zu sagen: ein armer Schlucker.
    Sie waren Bauern, sie bestellten den Boden. Sie besaßen auch ein paar Äcker, sonst alles Boden in Pacht oder Halbpacht. Aber es waren diese paar Meter eigener Grund, weshalb sie sich wie Herren fühlten, ganz genau wie Grundbesitzer. Fast adlig im Verhältnis zu meinem Großvater. Und sie wollten sich mit ihm nicht gemein machen. Die Schwester dagegen geht hin und verliebt sich in diesen Taugenichts – wie sie sagten –, und da war nichts zu machen, sie nahm ihn sich, wie sie es wollte, und da machten die Brüder halt gute Miene zum bösen Spiel und gaben sich Mühe, einen anständigen Bauern aus ihm zu machen. Sogar Lesen und Schreiben haben sie ihm beigebracht.
    Er wollte nicht, er liebte sein Fuhrwerk, die Pferde, das Herumkutschieren auf den Straßen und ab und zu Rastmachen in den Wirtschaften. Aber er liebte auch diese Frau, obwohl er sofort begriffen haben muss, dass sie die Zügel in der Hand halten würde. Sie himmelte ihn an, die Gute, und wurde auch als alte Frau noch jedes Mal rot und musste lachen, wenn er ihr in einer bestimmten Weise in die Augen schaute, mit einem verstohlenen Grinsen. Aber jedes Mal, wenn eine Entscheidung zu treffen war, hörte sie auf niemanden, nur auf ihre Brüder – vor allem den ältesten, der nie geheiratet hatte –, und dann entschied alles sie.
    Er, der Großvater, war gutmütig, er war weichherzig und lachte viel. Die Kinder – und später die Enkel und Urenkel – nahm er immer auf den Arm und lachte und spielte mit ihnen, auch wenn sie das nicht wollte. Sie sagte: »Nimm die Peitsche«, und dabei waren wir Kinder es, die – es hätte nicht viel gefehlt – ihn gepeitscht hätten. Kein einziges Mal haben wir ihn wütend gesehen, kein einziges Mal hat er uns ausgeschimpft; er sah einen bloß an, und das war’s, und er sah einen auch noch zärtlich an. Glücklich und zufrieden tat er alles, was sie sagte, und falls zufällig einmal jemand zu ihm kam, auch als wir schon im Agro Pontino waren, und in einer bestimmten Angelegenheit seine Meinung hören wollte, wehrte er mit den Händen ab: »Ah, hört, was sie sagt.«
    Sie hingegen entschied alles, ohne ihn überhaupt zu fragen, und sagte ihm die Dinge erst hinterher, und wenn eines der Kinder versuchte, Einspruch zu erheben: »Aber der Papa? Seid ihr sicher, dass der Papa nichts dagegen hat?« »Ach«, sagte sie da, »ich kenn ihn doch.«
    Sie sollen das nun nicht missverstehen, vielleicht habe ich das nicht richtig erklärt: Großvater war bestimmt kein Einfaltspinsel oder Waschlappen. Es war nur: Die beiden waren es zufrieden so. Stellen Sie sich vor, am Ende dann, 1952, stand Großmutter eines Morgens wie gewöhnlich auf und sah, dass er das nicht tat und faul im Bett liegen blieb. Da schaute sie ihn finster an, wie um zu sagen: »Worauf wartest du?«
    Und er darauf: »Ich fühl mich nicht so wohl. Also bleib ich lieber im Bett.« Und ist nicht mehr aufgestanden; drei Wochen später setzte sie sich eines Abends neben ihn ans Bett, und da sagte er mit schwacher Stimme zu ihr: »Wie schön du bist.«
    Sie antwortete: »Nein, mein Lieber: schön bist du«, und kurz darauf starb er.
    Diese ganzen drei Wochen war sie ununterbrochen auf den Beinen gewesen, treppauf und treppab, um ihn zu versorgen wie ein kleines Kind, und als er gestorben war, wollte sie selbst ihn waschen und ankleiden, und am nächsten Tag beim Begräbnis stand sie die ganze Zeremonie über kerzengrade da – bis zum Friedhof –, kerzengerade und ohne eine Träne. Abends aber, als sie wieder zu Hause waren, legte sie sich ins Bett und ist nicht mehr aufgestanden, und drei Wochen später war sie auch tot.
    Nachdem er geheiratet hatte, schickte Großvater sich an, Bauer zu werden. Da mag er zweiundzwanzig gewesen sein. Zunächst war er mit ihnen zusammen – mit den Brüdern der Frau –, auch, sagen wir mal, um Übung zu bekommen,
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