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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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Großvater hat mit Rossoni zusammen im Gefängnis gesessen, als sie noch rot und Sozialisten waren, in Copparo 1904, das war das Jahr, in dem Onkel Adelchi zur Welt kam, der Einzige, der geboren wurde, als der Vater nicht da war. Oder besser, Großvater war nie da, auch als die anderen geboren wurden nicht. Wenn er hörte, wie Großmutter morgens beim Aufstehen sagte: »Heute komme ich nicht mit aufs Feld«, und sah, wie sie große Töpfe Wasser aufs Feuer setzte, Bettbezüge, Bettlaken und saubere Wäsche hervorholte, dann wartete er erst gar nicht ab, bis die Frau nach und nach die kleineren Kinder mit den älteren Schwestern wegschickte, sondern fragte nur: »Was meinst du, soll ich eine Partie Karten spielen gehen?«
    Und sie: »Geh nur, geh!«
    Und er ging ins Wirtshaus – setzte sich drinnen hin, beileibe nicht draußen, es hätte ja ein Laut zu ihm dringen können –, spielte Briscola und trank Wein, bis am frühen Nachmittag oder gegen Abend eines der Kinder kam und ihm sagte: »Es ist da.«
    »Junge oder Mädchen?«, fragte er. Das Kind sagte es ihm, er stand auf und ging sich das Neugeborene ansehen.
    Großmutter brachte sie alle tagsüber zur Welt, kein Einziges nachts, denn nachts war das Wirtshaus zu. Alle zu Hause und ohne dass mein Großvater im Weg herumstand. Alle, außer meinen Onkel Temistocle, er war der Größte – der Erste –, sie hatte damals noch keine Erfahrung, erkannte die Anzeichen nicht, und so bekam sie ihn auf dem Feld beim Rübenstechen. Die Fruchtblase platzte, als sie fest am Haken zog, um eine besonders dicke Rübe aus der Erde zu holen, das Fruchtwasser ging ihr ab, vor dieser Zuckerrübe, die halb drin und halb draußen steckte, wie das Kind, und sie sagte: »Was ist denn das?«, und ließ die Rübe so liegen, noch mit dem Haken drin. »Entschuldigt einen Augenblick«, und ging übers Feld bis zum Graben, setzte sich in den Schatten einer Pflanze und kam mit Onkel Temistocle nieder. Zu den anderen Frauen – die einander verständigt hatten, als klar war, was los war, und nun alle um sie herumstanden – sagte sie: »Ah, nächstes Mal bleibe ich zu Hause«, dann stand sie auf und wollte gleich wieder aufs Feld zurück, um ihre Rübe herauszuholen. Nur unter dem Vorwand, das Kind müsse gewaschen werden, konnte man sie dazu bewegen, nach Hause zu gehen.
    Damals lebten wir jedenfalls in Codigoro. Ich weiß nicht, seit wie vielen Jahren wir dort waren, jedenfalls noch nicht so lang. Die Meinen zogen umher. Mal hier, mal da, je nachdem, was für Pachtverträge es gab. Woher genau mein Großvater war, kann ich Ihnen nicht sagen. Er kam jedenfalls auch vom Po, weit oberhalb von der Stelle, wo er sich verzweigt und anfängt, das Delta zu bilden. Vielleicht kam die Familie ursprünglich ja sogar aus der Gegend von Modena oder Reggio Emilia. Anfangs hatten sie scheint’s Geld – so erzählten die älteren Leute –, waren wohlhabend, sie waren Müller. Ein Großvater oder Urgroßvater – ich weiß nicht, ob väterlicher- oder mütterlicherseits – war offenbar mit Napoleon in Russland gewesen, und als er zurückkam, schaffte er sich eine von diesen Mühlen an, die auf Booten im Po lagen und bei denen das Wasser von unten die Schaufelräder bewegte. Die Leute brachten das Getreide zum Mahlen, die Müller behielten ihren Anteil und verdienten gut. Dann haben sie alles vertan. Sie hatten Land gekauft. Und auch das haben sie vertan. Schlechte Geschäfte, ein Hallodri von einem Sohn, Hochwasser, eine Überschwemmung, die alles wegspülte – Mühlen und Vermögen –, und meinem Großvater und seinem Bruder, aber auch schon deren Vater und Mutter blieben nur die Fetzen am Leib, sie hatten und konnten nichts. Sie lebten in den casoni, großen Hütten aus Ästen und Zweigen, die so hießen, weil sie sehr geräumig waren. Und sie fingen als Fuhrleute an, auf allen Straßen und über alle Dörfer. Und so, als Fuhrmann, lernte Großvater meine Großmutter kennen, die Straßen des Ferrareser Sumpflands rauf und runter; auch wenn es »Ferrareser« hieß, erstreckte es sich doch jenseits des Po, über das Delta hinaus bis in die Polesine, die zur Provinz Rovigo gehört. Großvater und sein Bruder kamen jedenfalls immer wieder in der Gegend von Formignano vorbei, da gab es einen Weiler, Tresigallo – keine Stadt wie heute, sondern drei Häuser und eine kleine Kirche –, wieder und wieder kamen sie dort an einem Hof vorbei, und da sahen sie immer dieses schöne Mädchen. Ich weiß nicht, ob
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