Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
Vom Netzwerk:
noch keinen Asphalt –, Schreie, Gekreisch, Schläge mit dem Gewehrkolben, und die Leute flohen hierhin und dorthin, und gerade als Großvater die Peitsche hob, um dem Pferd hastig zuzurufen: » Hüa, hüa , weg von hier«, landete wie Moses aus der Staubwolke, aber mit einem Schweif schreiender Gardisten hinter sich, erschien und landete rrrums Rossoni auf dem Wagen, auch er brüllend: »Hilf mir, Peruzzi, hilf mir.«
    Was sollte Großvater tun? Er kannte Rossoni von Kindesbeinen an. Sollte er ihn dortlassen? Der Gedanke kam ihm überhaupt nicht in den Sinn, es war eine spontane Reaktion. Er hob die Peitsche und brüllte dem Pferd zu: »Hüa!« Aber er hatte noch nicht »hüa« gesagt, da fielen die Gardesoldaten auch schon über ihn her. Der eine versuchte das Pferd an den Zügeln zu packen, der andere hieb mit flachem Degen auf Wagen, Pferd und Rossoni ein.
    Ich weiß jetzt nicht, wer mehr Schläge abbekommen hat, Rossoni oder das Pferd. Tatsache aber ist, dass Großvater die Galle überlief und er mit der langen Peitsche nach links und rechts Hiebe auszuteilen begann: Gardesoldaten, Bürger, Passanten, wer auch immer ihm in die Quere kam. »Ihr Hunde«, brüllte er, »ihr Hunde«, außer sich.
    Das Pferd hatte ihn noch nie so erlebt – ich habe Ihnen ja gesagt, dass er ein ruhiger Mensch war, gutmütig, wo man ihn hinstellte, da blieb er ein Leben lang; aber wer weiß, was ihn an diesem Tag gepackt hat, die Wut vielleicht, von irgendwoher muss das ja schließlich kommen bei uns –, jedenfalls hatte das Pferd ihn noch nie so erlebt und bekam Angst. Nicht wegen den Gardesoldaten oder den Schlägen auf den Rücken, ach wo, es bekam Angst vor seinem Herrn, scheute und fing an zu bocken wie ein Fohlen, es machte Sprünge wie beim Rodeo, es bog sich zur Seite und riss den Wagen um, mit Großvater und Rossoni, die sich am Seitengeländer festhielten, und während Großvater immer noch »ihr Hunde« schrie, rissen die Stricke, und sämtliche Fässchen rollten auf die Straße und zerbrachen, der Wein lief aus und Großvater dachte: »Verdammt, was sag ich nur«, zu seiner Frau nämlich, wegen dem Schaden mit dem Wein und den Fässern, die zu zahlen sein würden.
    Um es kurz zu machen, sie rollten auf den Boden, und der Karren ging auch in die Brüche, dann hielt das Pferd still, und die Gardisten warfen sie ins Gefängnis, nachdem sie ihnen ordentlich Prügel verpasst hatten, vor allem meinem Großvater, mehr als Rossoni. Sei es, weil Großvater Bauer war und wie ein Bauer angezogen war, der andere dagegen – wenn auch subversiv und revolutionär – immerhin manierlich gekleidet war, sogar mit Schleife. Sei es auch wegen der Peitschenhiebe, denn sind wir doch ehrlich, Rossoni hatte nur eingesteckt, Großvater aber auch ausgeteilt. Das zahlten sie ihm dann alles heim – ein bisschen auch Rossoni –, und sie wurden ins Gefängnis geworfen. Gerichtsverfahren und einen Monat Haft.
    Ich weiß jetzt nicht, ob sie die Strafe in Copparo abgesessen haben oder ob man sie nach Ferrara ins Gefängnis gebracht hat, aber ich weiß, dass sie zusammen waren, in einer großen Gemeinschaftszelle, und einen Monat lange teilten sie den täglichen Fraß und den Topf. Sie wissen nicht, was der Topf ist? Das war ein Eimer, der in einer Ecke stand und wo alle ihr Geschäft verrichten mussten. Praktisch teilten sie Brot und Notdurft, und Großvater, der nie im Leben politische Ideen gehabt hatte – na ja, die Pfaffen mochte er nicht sonderlich, aber Politik war seiner Meinung nach was für bessere Leute –, als er einen ganzen Monat lang von früh bis spät Rossoni so zuhörte, ist Großvater darüber auch so eine Art Karl Marx geworden, obgleich er ab und zu, vor allem kurz vor dem Einschlafen, wenn jeder sich in seine Ecke drückte und versuchte, den Schlaf zu erhaschen, laut unter der Decke hervor sagte: »Hilf mir, Peruzzi, hilf mir«, und der ganze Saal musste lachen, Rossoni eingeschlossen. Dann, nachdem auch das letzte Gelächter ganz hinten im Raum verstummt war, setzte Großvater verzweifelt hinzu: »Was sag ich nur meiner Frau?« Die anderen lachten wieder, aber das war seine fixe Idee, und wie nach und nach die Tage vergingen, die Strafe bald abgesessen war und der Zeitpunkt der Freilassung näher rückte, wurde die Not für Großvater größer: »Dreißig Tage? Dreißig Jahre hätte man mir geben sollen.«
    Beide jedenfalls frei und entlassen. An der Abzweigung nach Tresigallo verabschiedete Großvater sich von Rossoni und
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher