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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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und nachher sagt man: »Aber was ist denn nur passiert? Das wollte ich nicht. Drehen wir die Zeit um eine Minute zurück, ich bitte euch, kehren wir dahin zurück, wie es früher war.« Aber nichts wird mehr so sein wie früher, und wenn an diesem Tag dann bloß die Mutter da wäre, um sich bei ihr auszuweinen.
    Jedenfalls war Onkel Adelchi nicht der Heilige, an den Sie sich erinnern, derjenige, wie Sie sagen, den man in einem Streit als Vermittler holen ging. Von wegen Vermittler, er hat überall nur Zwietracht gesät, jedenfalls bei sich zu Hause, was ja auch unseres war. Und letztlich war es mehr seinetwegen als wegen dem Vieh, dass wir hierhergekommen sind.
    Das Vieh, das war verloren. Schon vor dem Tag mit dem Grafen und dem Verwalter war Onkel Pericle beim Fascio gewesen und bei der Gewerkschaft, um sich zu erkundigen, erst in Rovigo und dann in Ferrara, denn die in Rovigo zählten nicht. Ferrara hatte das Sagen, und wenn die in Ferrara einem sagten: »Schau, Peruzzi, da ist nichts zu machen, die Sache liegt so und so und so, das ist die Quote 90, nur Rossoni könnte da was ausrichten«, da begriff man, dass es aus war, denn das waren die Leute von Balbo, die standen auf der Seite der Großagrarier, und wenn die sagten »Geh zu Rossoni« – die zwei hatten sich nie leiden können –, dann nur, um ihm nachher die Schuld geben zu können: »Hast du gesehen? Nichts hat er für dich getan.« Und dann saß Rossoni in Rom, wer wollte ihn da ausfindig machen? War Onkel Pericle bereit, bis nach Rom zu gehen?
    Doch als er den kleinen Bruder sah – Onkel Adelchi war fünf- oder sechsundzwanzig, während Pericle, Jahrgang ’99, zweiunddreißig Jahre alt war und auch schon ein paar Kinder zu ernähren hatte –, als er sah, wie außer dem Vieh auch der Bruder in Ketten von den Carabinieri abgeführt wurde und wie Großmutter sich an ihn, Pericle, wandte und schrie »Pericle, Pericle«, so als ob nur er Rettung bringen könnte, da hätte er gern gesagt: »Ach, von wegen Pericle«, denn das hätte er sich nicht erwartet, dass Adelchi verrücktspielen könnte. Sicher, er hatte ihn hinauflaufen sehen ins Haus, hatte aber gar nicht darauf geachtet, weil er nicht viel hielt von diesem Bruder – der immer woanders war, wenn wirklich mal was mit den Fäusten auszutragen war – und ihn jedes Mal hätte verprügeln können, wenn er mit dieser schrillen Stimme auf die Schwestern losging. Aber als er ihn die Treppe wieder herunterkommen sah, besser gesagt durch die Tür, hinter der die Treppe lag, sah, wie er das Mückengitter offen stehen ließ und schrie und schoss, auf der Außentreppe leicht stolperte und wie ein Verrückter um sich schoss, sah, wie der Verwalter davonrannte, und Adelchi schrie: »Ich bring dich um, ich bring dich um«, und weiter schoss – so gesagt, scheint das wer weiß wie lang, dabei ist es nur ein Augenblick –, und in diesem Augenblick musste Onkel Pericle lachen, als er seinen Bruder sah: »Da schau an, der Adelchi.« Und plötzlich mochte er ihn.
    Als seine Mutter »Pericle, Pericle« zu ihm sagte, hätte er daher am liebsten geantwortet »Von wegen Pericle«, aber sie setzte sofort hinzu: »Geh nach Rom, Periclín«, dabei hatte sie ihn nicht einmal als Kind mit dem Kosenamen Periclino gerufen. Da sagte er: »Gut, morgen fahren wir nach Rom«, als wäre das eine Tatsache, mehr eine Feststellung als ein Befehl an seinen Bruder Temistocle, den ältesten Bruder, an den Sie sich aber nicht erinnern können, Sie können ihn nicht kennengelernt haben, weil seine Kinder ihn in den sechziger Jahren nach Norditalien mitgenommen haben, nach Turin. Sie gingen zur Arbeit in die Fabrik bei Fiat, und er wartete zu Hause auf sie.
    Was sagen Sie? Wie viele wir waren? Ein Haufen. Siebzehn Kinder hatte mein Großvater, acht Mädchen und neun Buben, und noch einmal siebzehn hatte sein Bruder, auch er acht Mädchen und neun Buben. Alle vereint, alle an einem Strang, anfangs, eine einzige Familie, aber dann haben wir uns getrennt. Sie sind dortgeblieben. Sie sind nicht mitgekommen ins Agro Pontino. Aber nicht deswegen haben wir uns getrennt; sie sind nicht mitgekommen, weil wir uns schon vorher entzweit hatten und nicht mehr zusammenfanden. Die Politik hat uns auseinandergebracht. Jedenfalls waren wir siebzehn Kinder, und damals war das so, nicht wie heute, wo Kinder Unkosten bedeuten. Früher waren Kinder ein Segen für die Familie, denn das waren Arme und Hände, um den Boden zu bestellen. Wie bitte, was sagen Sie?
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