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Canale Mussolini

Canale Mussolini

Titel: Canale Mussolini
Autoren: Pennacchi Antonio
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ging weiter in Richtung Codigoro – etwa fünfzehn Kilometer zu Fuß –, immer in Versuchung, langsamer zu werden oder gar umzukehren und zurückzugehen. Wenn auch maßlos gutmütig, war er aber doch nicht der Mann, seinem Schicksal auszuweichen; was geschehen ist, ist geschehen, und so bog er von der großen Straße ab und schlug den Fuhrweg zu seinem Haus ein. Sie sah ihn schon von weitem kommen – es war später Nachmittag –, wie er im dunklen Laubschatten und in den Sonnenstrahlen, die hell durch die Reihe der Ulmen fielen, auftauchte und wieder verschwand. Und sie ging ihm entgegen.
    Er ahnte es – er nahm nur ihre Umrisse wahr, sie hatte die Sonne im Rücken, ihre Gesichtszüge sah er nicht – und ging schneller. Doch als er aus zwanzig Metern Entfernung auch ihr Gesicht erkannte und sah, dass sie nicht böse war und dass es keinen Streit geben würde wegen der Fässer Wein und dem Fuhrwerk, dass sie nur glücklich war, ihn zu sehen – glücklich und sonst nichts, dass ihre Augen lachten wie der Mund –, da lief Großvater ihr entgegen und umarmte sie. Doch sobald er sie berührte – nur die Hände vorgestreckt, noch bevor er sie umarmte –, brach er in Tränen aus, wie sie es noch nie gesehen hatte, und er auch nicht; so weit er denken konnte, hatte er noch nie zuvor in seinem Leben geweint. Und Großmutter sagte zu ihm: »Wir bezahlen das, Peruzzi, wir bezahlen das«, um ihn zu trösten, weil sie glaubte, er würde aus Verzweiflung weinen, wegen den Sorgen, den Schulden, dem Schaden. Dabei weinte er vor Glück: »Wie schön du bist«, sagte er zu ihr, »wie schön du bist.« Großvater weinte, weil seine Frau schön war. Das ist alles. Ja sicher fühlte er sich auch erleichtert, von allen Ängsten und allem Missgeschick erlöst; aber er weinte, weil sie schön war, und nicht nur schön, sondern weil sie ihn auch liebte. Weinen Sie nicht über solche Sachen?
    Erst später – abends im Bett, als sie sich nach den Entbehrungen an der Liebe genug getan hatten – wollte sie dann doch ein paar Erklärungen mehr hören. Zuerst legte sie die Kinder im anderen Zimmer schlafen und behielt den Jüngsten, Adelchi, in der Wiege neben dem Bett. Sie hatte sich mit der Duftseife gewaschen, die sie irgendwo in einer Schublade der Kommode aufbewahrte, und gab nun Adelchi die Brust, überfütterte ihn nahezu: »Trink, mein Junge, trink«, dass ihm die Milch an der Seite aus dem Mund lief, bis er an ihrer Brust einschlief wie ein Stein. »Jetzt schläft er bis morgen«, sagte Großmutter da und legte ihn in die Wiege, und sofort machte Großvater sich über die Brüste her, bis alle beide sich nach dieser langen Entbehrung aneinander gesättigt hatten, und erst danach fragte Großmutter endlich, insgeheim lachend und wie um ihn zu frotzeln: »Aber was hat dich denn gepackt, Peruzzi, was hat dich nur gepackt?«, und sie lachte von Herzen, so dass sie sich wegen der Erschütterung des Lachens umdrehen musste, denn sie lagen nebeneinander, er hinter ihr, und sie wandte sich ihm zu, den Ellbogen aufs Kissen gestützt, und fragte: »Aber was hat dich nur gepackt? Erklär mir das, Peruzzi«, und sie lachte, denn sie hatte es nicht glauben wollen, als die Leute gekommen waren und ihr erzählt hatten, dass er auf seinem Karren »ihr Hunde!« gebrüllt und mit der Peitsche auf die Gardesoldaten eingedroschen hatte. Und jetzt war sie da, aufs Kissen gestützt, stellte sich die Szene vor und musste lachen: »Was hat dich nur gepackt?«, er dagegen schaute im Kerzenlicht nach oben, auf den Flecken an der Decke – einen Stockflecken –, die Hände hinter dem Kopf verschränkt, die Ellbogen breit; nachdenklich und ernst fragte er sich auch, was ihn an jenem Tag gepackt hatte.
    »Ich weiß es selbst nicht«, sagte er zuerst. Doch dann dachte er noch einmal darüber nach – während sie immer noch lachte und dabei mit der anderen Hand scheinbar unbeteiligt schon wieder dabei war, sein schlafendes Hündchen zu necken – und sagte, indem er sich ebenfalls umdrehte und sie küsste: »Das Pferd, Frau, das Pferd hätten sie mir nicht anrühren dürfen.« Und Großmutter hörte in der Stimme einen harten und dumpfen Ton – der Drohung –, der ihr zusammen mit den Küssen Schauer über den Rücken jagte.
    Dann ist Rossoni verschwunden, und man hat ihn nicht mehr gesehen. Zuerst war er in Piacenza in der Camera del lavoro, dann in Mailand, oder umgekehrt, bis er in ganz Oberitalien bekannt war, er schrieb Artikel, und oft konnten wir
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