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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Autoren: Jacqueline Kelly
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im warmen Licht des Kronleuchters und ließ Großpapas weißen Bart rubinrot schimmern.
    Er sah aus, als wollte er eine Rede halten, doch dann drehte er sich um, stieß die Schwingtür zur Küche auf und rief nach Viola, die eilig angelaufen kam. Sie sah beunruhigt aus und wischte sich schnell die Hände an der Schürze ab.
    »Meine Damen« – er verneigte sich leicht –, »meine Herren. Ich würde gern mit allen anstoßen. Etwas Wundervolles ist geschehen. Ich habe heute ein Telegramm aus Washington erhalten, von der Smithsonian Institution. Darin wird mir und Calpurnia mitgeteilt, dass wir eine neue Wickenart entdeckt haben. Eine bisher unbekannte Spezies. Sie wird von nun an Vicia tateii heißen.«
    »Gut gemacht!«, sagte Vater.
    Mutter sah Großpapa verwirrt an, dann ging ihr Blick zu mir.
    »Großvater«, sagte Harry, »unser Name wird in die Geschichte eingehen.«
    »Hast du einen Preis bekommen, Callie?«, rief Jim Bowie. »Was hast du gewonnen?«
    »Einen Platz in naturwissenschaftlichen Büchern«, antwortete ich.
    »Was für Bücher denn? Was heißt das? Können wir sie anschauen?«
    »Eines Tages wirst du sie zu sehen bekommen, J. B.«
    Vater klatschte als Erster in die Hände, die anderen folgten seinem Beispiel, applaudierten und riefen Hurra! Darauf hatte ich gewartet, und ich wurde tatsächlich etwas fröhlicher, wenn auch nicht so froh, wie man meinen sollte.
    Vater stellte sich zu Großpapa an die Anrichte, goss sich ebenfalls einen Portwein ein und rief dann zu Mutter hinüber: »Margaret, möchtest du vielleicht auch ein Glas?«
    Mutter betrachtete mich noch immer mit forschendem Blick.
    »Margaret?«
    »Oh«, sagte sie und drehte Vater den Kopf zu. »Vielleicht ein kleines, Alfred, es ist ja schließlich ein besonderer Anlass.«
    »Viola, möchten Sie nicht auch ein Glas mit uns trinken?«
    Viola warf Mutter einen Blick zu, dann sagte sie: »O nein, Mr. Tate, das könnte ich niemals …«
    Er ignorierte ihre Antwort, drückte erst ihr ein Glas in die Hand und dann SanJuanna, die aussah, als würde sie im nächsten Moment in Ohnmacht fallen. Alle hoben ihre Gläser. Wir Kinder prosteten ihnen ebenfalls zu, allerdings mit Milch.
    Vater setzte zu einer Rede an: »Auf unser aller Gesundheit und anhaltendes Wohlergehen sowie – bei diesem besonderen Anlass – auch auf Großvater und seine wissenschaftlichen Bemühungen. Ich muss zugeben, zeitweise habe ich mich schon gefragt, womit du da eigentlich deine Zeit verbringst, doch nun hast du bewiesen, dass es sinnvoll verbrachte Stunden waren. Heute Abend sind wir alle eine stolze Familie!«
    Harry stimmte das Lied For He’s a Jolly Good Fellow an, und am Ende brachen alle in ein dreifaches Hoch aus.
    »Aber wir dürfen auch Calpurnia nicht vergessen«, sagte Harry dann, »Calpurnia und ihr Notizbuch. Ich reklamiere einen Teil der Ehre für mich, schließlich hast du es von mir bekommen. Gut gemacht, Kätzchen.«
    Wieder gab es ein »Hurra!«, und dieses Mal galt es mir. Lächelnd sah ich in lauter strahlende, aufgeregte Gesichter.
    »Das stimmt«, sagte Großpapa und prostete mir zu. »Nichts von alldem wäre möglich gewesen ohne die Hilfe meines einzigen Enkelkindes – Calpurnia.« Mit heiterer Miene trank er einen Schluck.
    Seines einzigen Enkelkindes! Erschrockenes Schweigen meiner Brüder, gefolgt von immer lauter werdendem Gemurmel und Stimmengewirr.
    »Verzeihung«, sagte Großpapa mit einer kurzen Verbeugung, als er seinen Fehler bemerkte. » Meiner einzigen Enkeltochter , meinte ich natürlich.« Er trank ruhig aus, dann nahm er wieder am Tisch Platz.
    Meine Brüder waren gekränkt, doch das war mir egal. Mein Herz pumpte Freude durch meine Adern. Ich bedeutete ihm alles, war es nicht so? Und er bedeutete mir alles.

 
     
     
    Siebenundzwanzigstes Kapitel
     
    SILVESTER
     
    Der Mensch kann kaum oder nur sehr schwer andere als äußerlich sichtbare Abweichungen der Struktur bei seiner Auswahl beachten; und er kümmert sich in der Tat nur selten um das Innere.
     
    Zum allerersten Mal überhaupt durften alle Kinder, bis hinunter zu Jim Bowie, aufbleiben, um die Schläge der Uhr mitzuzählen, wenn es Mitternacht wurde. Ein schrecklich aufregendes Ereignis, zumindest in unserer Vorstellung. Außerdem ein ziemlich nervenaufreibendes, denn verschiedene Sekten hatten angekündigt, dass am ersten Tag des neuen Jahrhunderts die Welt untergehen werde. Die Zeitungen berichteten, dass wilde, bärtige Männer in langen Gewändern durch die Straßen
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