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Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen

Titel: Calpurnias (R)evolutionäre Entdeckungen
Autoren: Jacqueline Kelly
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Fleming mit einem Schlag wieder hellwach. »Gut, dass ich Sie antreffe, Sir, ich habe ein Telegramm für Sie. Kommt von weit her, aus Washington. Aus der Hauptstadt, nicht aus dem Staat Washington.«
    »Herzlichen Dank, Mr. Fleming. Ich bin Ihnen außerordentlich dankbar.«
    »Ich dachte mir schon, dass es wichtig ist, deshalb bin ich gleich hergekommen.«
    »Vielen Dank, Mr. Fleming. Ich bin Ihnen wirklich dankbar.«
    »Ich wollte es keinem der Jungen anvertrauen.«
    »Danke, Mr. Fleming. Wirklich.«
    »Verstehen Sie mich nicht falsch, es sind gute Jungs, sonst würden Sie nicht für mich arbeiten. Aber sie lassen sich schon mal ablenken, und ich dachte …«
    Mutter unterbrach ihn. »Mr. Fleming, vielleicht möchten Sie Captain Tate gern das Telegramm überreichen? Jetzt?«
    »O ja, ja, natürlich, Ma’am.« Er langte in seine Tasche und zog es hervor. »Hier ist es. Von Washington kommt es, so weit. Jawohl, Sir.«
    Mrs. Purtle schrie leise auf und griff sich ans Herz. Wie hypnotisiert starrten wir alle auf den Umschlag.
    Großpapa trat vor, und Mr. Fleming überreichte ihm das Telegramm. Bedächtig ergriff Großpapa den Umschlag. »Ich danke Ihnen, dass Sie sich die Mühe gemacht haben, Mr. Fleming«, sagte er und griff in seine Tasche, um eine Münze hervorzuholen.
    Doch davon wollte der Telegrafist nichts wissen. »O nein, Captain Tate. Kein Trinkgeld, kommt nicht infrage. Es war mir ein Vergnügen, Sir.« Er salutierte stramm und schlug die Hacken zusammen.
    »Sehr freundlich«, sagte Großpapa, und als er sah, dass Mr. Fleming weiter stillstand, fügte er hinzu: »Sie dürfen sich rühren, bitte.«
    Mr. Fleming entspannte sich leicht. Alle standen wir da und starrten meinen Großvater an, der seinerseits das Telegramm anstarrte.
    »Ah«, sagte er und schaute auf. »Ich danke Ihnen noch einmal für Ihre Mühe, Mr. Fleming.« Er verneigte sich vor meiner Mutter und Mrs. Purtle. »Meine Damen.« Damit wandte er sich zum Gehen. Das Telegramm hielt er ganz fest. Uns allen blieb der Mund offen stehen, so schockiert waren wir. Was für eine Ungerechtigkeit – uns diesen so einzigartigen Moment zu nehmen! Wie sollte man das ertragen? Wie konnte er uns das antun? Wie konnte er mir das antun?
    »Calpurnia?«, rief er von der Eingangshalle, »kommst du?« Einen Augenblick lang war ich wie gelähmt, dann kam wieder Leben in mich, ich pfiff auf alle Anstandsregeln und rannte aus dem Salon und Großpapa hinterher. An der Tür zur Bibliothek schlitterte ich in ihn hinein. Schweigend öffnete er die Tür, und wir traten ein. Die grünen Samtvorhänge waren zurückgezogen und ließen das blasse Licht der Wintersonne herein.
    Er nahm an seinem Schreibtisch Platz. »Würdest du bitte eine Lampe herbringen?« Seine Miene strahlte gleichermaßen Aufgeregtheit wie Ernst aus. Mit zitternden Händen hielt ich die Lampe. Was, wenn die Antwort »nein« lautete? Was wären wir dann? Nichts als ein alter Mann, der sich etwas vorgemacht hat, und ein dummes kleines Mädchen. Aber wenn die Antwort »ja« lautete? Wären wir dann nicht bedeutend, gefeiert, berühmt? Würden wir dann nicht zu den Unsterblichen gehören? Wissen oder nicht wissen – was war wohl besser? Aber ganz gleich, wie es ausging – er würde mich doch ganz bestimmt noch lieben. Oder?
    Ich nahm Platz auf dem Kamelsattel und wünschte, ich könnte die Zeit anhalten.
    Großpapa betrachtete den schlichten weißen Umschlag. Dann nahm er seinen Brieföffner aus Elfenbein und schlitzte den Umschlag behutsam auf. Das Telegramm bestand aus einem einfachen, einmal in der Mitte gefalteten Bogen. Er hielt ihn mir hin.
    »Bitte lies es mir vor, mein Liebes.«
    Meine Hände bebten, als ich nach dem Blatt griff. Ich faltete es auseinander und beugte mich vor zur Lampe. Auch wenn ich über manche längeren Wörter stolperte, schaffte ich es doch, alles vorzulesen.
     
    Sehr geehrter Mr. Tate, sehr geehrte Miss Tate,
    die unterzeichneten Mitglieder des zur Smithsonian Institution gehörenden Komitees zur Kategorisierung von Pflanzen freuen sich Ihnen mitzuteilen, dass wir nach ausgiebiger Prüfung und Nachforschung zu dem Schluss gekommen sind, dass Sie eine neue, bisher unbekannte Spezies der Zottelwicke entdeckt haben. Sie gehört zur Klasse der Dikotylen, zur Ordnung der Fabales, zur Familie der Fabaceae und zur Gattung Vicia. Es ist so üblich, dass eine neue Spezies nach ihrem Entdecker benannt oder von ihm mit einem von ihm gewählten Namen (soweit dieser noch nicht in Gebrauch
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